Grosse Zuchtfirmen setzen auf CMS-Sorten. In der Schweizer Gemüsebranche sind sie bereits etabliert. Kritiker sprechen aber von «kleiner» Agro-Gentechnik. Rund um die Schweiz verbieten Biolandbauverbände deshalb ihren Mitgliedern die Verwendung.
Ein neuer Glaubenskrieg steht uns bevor: Rund um die Schweiz herum diskutiert die Bio-Szene eifrig über die Nutzung von sogenanntem CMS-Saatgut (CMS = Cytoplasmatische Männliche Sterilität). Dabei handelt es sich um Hybrid-Saatgut, das mit biotechnologischen Mitteln steril gemacht wird. Die Samen können deshalb nicht vermehrt werden. Die Zuchtfirmen sehen in der CMS-Technologie vor allem Vorteile bezüglich Qualität und Uniformität der entwickelten Sorten. Der genetische Austausch wird dank CMS zudem verunmöglicht und die F1-Hybride ist inzuchtfrei. Das wirkt sich für die Firmen nicht zuletzt positiv auf die Kosten aus.
CMS kommt bei Kulturen wie Karotten, Zwiebeln oder Lauch natürlicherweise vor. Trotzdem sprechen die Kritiker von «kleiner» Agro-Gentechnik. Denn bei vielen Kulturen – unter anderem bei Blumenkohl, Kohlrabi, Weiss- und Rotkohl oder Chicorée –, wird eine künstliche Verschmelzung von Zellen mittels elektrischer oder chemischer Stimulation durchgeführt. Der Fachbegriff dafür lautet «Protoplastenfusion». Dabei wird die CMS-Eigenschaft über die Artgrenzen hinweg übertragen. So entsteht beispielsweise eine neue Blumenkohlzelle mit der Erbeigenschaft CMS aus dem japanischen Rettich. Mit klassischen Zuchtmethoden und ohne biotechnologische Hilfe wäre das nicht möglich. Die Abgrenzung zur klassischen Gentechnologie wird hier deshalb schwierig.
Keine Deklarationspflicht
Rechtlich ist die Situation aber klar: CMS gilt nicht als gentechnologische Anwendung. Es besteht folglich keine Deklarationspflicht. Falls überhaupt etwas in den Sortenkatalogen steht, werden dort Begriffe wie «Superhybriden», «Inzuchtfrei» oder im besten Fall «CMS-Hybriden» verwendet. Viele Anwender können wenig bis gar nichts mit solchen Bezeichnungen anfangen und sehen – sofern sie sich überhaupt mit der Problematik auseinandergesetzt haben –, in CMS kein Problem. In der Praxis haben sie sowieso kaum eine Wahl: Denn der allgemeine Trend geht eindeutig in Richtung CMS-Sorten. Neben einer technischen gibt es bei den Diskussionen über CMS-Sorten eine ideelle Ebene. In der Kritik stehen die grossen Saatgutzuchtfirmen. Der Vorwurf lautet, dass diese dank der Anwendung von biotechnologischen Methoden ihre Machtposition weiter ausbauen würden. Denn der genetische Austausch zwischen Züchtern fällt weg, was vor allem für kleinere Züchtungsfirmen ein Problem darstellt.
In Nachbarländern verboten
Für die konventionelle Gemüseproduktion sind CMS-Sorten kein Problem. Für die Biogemüseproduzenten in der Schweiz bisher auch nicht. Noch nicht. Denn in vielen Nachbarländern haben Bio-Anbauverbände die Verwendung von CMS-Sorten verboten. Frankreich machte vor über zehn Jahren den Anfang, Demeter International folgte 2007, Naturland und Bioland in Deutschland vor zwei Jahren und seit letztem Jahr verbietet auch Bio Austria ihren Anbauern die Verwendung von CMS-Saatgut. Aber: Die EU-Bio-Verordnung lässt CMS-Sorten weiterhin zu.
In der Schweiz ist ein Verbot bisher kein ernsthaftes Thema. Trotzdem beschäftigt sich die Branche natürlich damit und bereitet sich auf Eventualitäten vor. Denn die Folgen wären gravierend: Bei Kulturen wie Blumenkohl, Kohlrabi oder Rosenkohl beruhen viele im Bioanbau verwendete Sorten auf der CMS-Technologie. Bei einem Verbot würde bei vielen Kohlarten eine ganze Palette von Sorten wegfallen. Die Alternativen wären klassische Hybriden oder alte Sorten. Das Problem: Viele grosse Saatzuchtfirmen setzen voll auf CMS-Sorten. Sie sind nicht auf die relativ kleinen Märkte in Europa – geschweige der Schweiz – angewiesen, die sich dagegen stellen.
Hoffnung auf kleinere Zuchtfirmen
Die Jahrestagung Biogemüse von Anfang Jahr griff das Thema «CMS-Sorten» auf. Die Meinungen gingen dabei auseinander. Zum einen wehrt man sich gegen weitere Anbauhürden, die eine Verteuerung der Produktion mit sich bringen würde. Zum anderen besteht aber ein grosser Unmut gegen die globale Zentralisierungstendenz der grossen Saatzuchtfirmen. Viele setzen Hoffnungen in kleinere Zuchtunternehmen, die sich eventuell der Nische von «CMS-freien Hybridsorten» annehmen könnten. Allerdings besteht eine grosse Skepsis darüber, wie lange Familienunternehmen wie Bejo Zaden oder Rijk Zwaan noch unabhängig sein werden.
Und dann gibt es Stimmen, die in einem CMS-Verbot Chancen sehen, die biologische Produktion von der konventionellen abzuheben. Was kommunikativ eine grosse Herausforderung wäre, denn CMS wird in der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen.
Noch wird ein CMS-Verbot in der Schweiz nicht einmal diskutiert. Aber: Es schadet nicht, sich auf den Fall der Fälle vorzubereiten. Bei der Saatgutfirma Sativa hat man deshalb schon einmal angefangen, eine Datenbank mit klassischen Kohl-Hybriden anzulegen und will in einem weiteren Schritt Nicht-CMS-Hybriden einlagern. n
weitere Infos: http://orgprints.org/13573
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