Swisscofel-Geschäftsführer Christian Sohm rechnet mit stark steigenden Preisen für Importgemüse. Im Interview erklärt er, weshalb es eine Weiterentwicklung des SwissGAP-Standards braucht und wie er das Thema Foodwaste in der Branche angehen will.
An der wöchentlichen Importregelungs-Sitzung mit der Produktion und dem Handel entscheidet Swisscofel jeweils mit, ob und welche Kontingente für Importgemüse gewährt werden. Wie ist aktuell das Klima an diesen Sitzungen?
Christian Sohm: Die Diskussionen sind harziger geworden und dauern gefühlt immer länger, das gegenseitige Vertrauen zwischen der Produktion und dem Handel war sicher schon besser. Ein Grund für Unstimmigkeiten liegt in den gegebenen Rahmenbedingungen der Importregelung, bei der viele unterschiedliche Artikel über eine Zollkontingentnummer bewirtschaftet werden müssen. Beispielsweise wenn Schweizer Kopfsalate für Convenience fehlen, es aber genug Kopfsalate für den Frischmarkt hat, ist es sehr schwierig für unsere Mitglieder, trotzdem ein Kontingent zu erhalten. Und offenbar ist es vorgekommen, dass Händler im für Convenience bestimmten Kontingent normalen Kopfsalat importierten. Verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen ist bekanntlich schwierig, aber wir arbeiten innerhalb der Branche daran.
Sie sind seit 20 Jahren in der Branche tätig und kennen auch den ausländischen Markt. Wie sieht es dort aktuell aus?
Es herrscht eine ziemlich grosse Verunsicherung. Ich nahm kürzlich an einer internationalen Konferenz teil, die aufzeigte, dass mit einigen Verwerfungen zu rechnen ist. Ausserhalb der Schweiz kämpfen die Länder bekanntlich mit noch höherer Inflation und höheren Kosten. In Holland beispielsweise wird deshalb dem Vernehmen nach bereits grossflächig später gesetzt. Italien und Spanien müssten deshalb länger bzw. mehr liefern können, ob das realistisch ist, werden wir sehen. Grundsätzlich rechne ich mit stark steigenden Preisen bei Importware im nächsten Frühling. Es gibt in Europa aber auch Szenarien, in denen die verarbeitende Industrie wegen zu hohen Gaspreisen ausfällt und diese Gemüse-Mengen dann auf den Frischmarkt drücken und somit auf die Preise wirken. So wirklich weiss zurzeit niemand, was auf uns zukommen wird.
Das verfügbare Haushalteinkommen sinkt auch in der Schweiz, gespart wird bei den Lebensmitteln. Schweizer Gemüse werden tendenziell teurer, weil die höheren Produktionskosten abgegolten werden. Kann Gemüse auch zu teuer werden?
Ich glaube nicht, dass Schweizer Gemüse so teuer wird, dass es sich Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr leisten können respektive wollen. Ich bin mir auch nicht sicher, wie preissensibel die Mehrheit der Konsumierenden überhaupt reagiert, bzw. wie bewusst sie auf Labels und Produktionsarten achten. Sehr preissensible Personen werden aber sicher noch mehr auf die Preiseinstiegs- oder Basic-Linien ausweichen, das spürt man heute schon. Unter anderem von Convenience-Produzenten höre ich zudem, dass sie bei Bioprodukten bereits einen Einbruch spüren. Ob sich dieser Trend akzentuieren wird, werden wir relativ rasch merken.
In diesem Frühling wurden Karotten trotz fast leerer Lager für einen Franken das Kilo angeboten. Braucht es solche Aktionen?
Dieses exemplarische Beispiel ist sicher unglücklich gelaufen. Doch diese Aktivitäten sind häufig von langer Hand geplant, mit Inseraten, Plakaten oder Online-Aktivitäten. Hätte man die Situation bereits bei der Planung vorausgesehen, wäre die Aktion wohl nicht durchgeführt worden. In der Mehrzahl der Aktionen wird heute viel spontaner gehandelt. Grundsätzlich helfen Aktionen der Produktion, Märkte bei hohen Angeboten zu leeren und damit zu entlasten. Die Gemüseproduzenten sind aber oft zu fest auf diese Markträumung fixiert und vergessen dabei, dass Aktionen für den Handel ein wertvolles Marketing-Instrument sind, um die Leute anzulocken und den Absatz anzukurbeln.
Swisscofel arbeitet an der Weiterentwicklung von SwissGAP mit. Wie ist der aktuelle Stand?
SwissGAP ist eine auf die Schweiz angepasste Version von GlobalGAP. Zum einen müssen wir den Standard weiterentwickeln, weil er sonst vom ÖLN überholt wird, der immer strengere gesetzliche Anforderungen verlangt. Zum anderen tendieren Abnehmer zur Definierung von eigenen Standards und Anforderungen, beispielsweise bei der maximal erlaubten Anzahl von Pflanzenschutzmittel-Rückständen. Das wird dann für die Produktion und den Handel sehr schwierig, weshalb SwissGAP hier künftig ein Standard bieten soll, der alle zufriedenstellt. Man hat SwissGAP wohl zu lange über alle Bereiche gleichmässig weiterentwickeln wollen. Beispielsweise werden soziale Standards wie Arbeitsbedingungen nun wichtiger, was aber zu Differenzen zwischen den einzelnen Bereichen führt, weil die Kartoffelproduktion ganz anders aufgestellt ist wie die Gemüseproduktion. Diesen unterschiedlichen Ansprüchen soll beispielsweise mit einem modularen Ansatz Rechnung getragen werden können. Dabei ist es wichtig, dass SwissGAP nie ein Label sein will, sondern ein guter Standard, auch als Basis für mitmachende Label. Wir führen in der Branche Befragungen durch, welche Erwartungen sie an einen modularen SwissGAP-Standard hat.
Zurzeit befinden sich angepasste Qualitätsanforderungen an Gemüse in der Vernehmlassung bei euren Mitgliedern. Weshalb waren die Anpassungen nötig?
Ein wichtiger Grund sind zunehmend fehlende Pflanzenschutzmittel, was ein Einfluss auf die Qualität und Erntemenge hat. Die Kaliber sollen deshalb bei vielen Produkten gegen unten und oben geöffnet werden, was im Handel eigentlich unbestritten ist. Dann gibt es einzelne Anpassungen, bei Bundzwiebeln beispielsweise geht es um mehr Toleranz bei Lufteinschlüssen wegen Trips. Diskussionen finden zudem beim «ewigen Thema» Läuse im Salat oder bei gelben Rändern in Convenience-Salaten statt.
Damit schlägt man zwei Fliegen auf einen Schlag: Einerseits kann mehr Ware verkauft werden, andererseits entsteht weniger Foodwaste.
Die Qualitäts-Anforderungen haben meines Erachtens wenig mit der Foodwaste-Problematik zu tun. Bei den aufgezählten optischen Problemen gibt es zwar Potenzial. Fakt ist aber auch, dass die Detailhändler feststellen, dass Salate mit Läusen liegen gelassen werden. Es geht vor allem aber auch darum, dass die systembedingte Überschussproblematik in der ganze Wertschöpfungskette angegangen wird. Wir, aber auch der VSGP haben eine entsprechende Vereinbarung mit dem Bundesamt für Umwelt unterschrieben. Hier geht es darum, Foodwaste messbar zu machen und vor allem aber auch darum, griffige Massnahmen zu definieren, welche den Foodwaste reduzieren, in dem wir beispielsweise Überschüsse verwerten und verkaufen können.
Die Obstbranche konnte in diesem Jahr mit dem Handel den Standard «Nachhaltigkeit Früchte» etablieren. Dabei müssen die Kernobstproduzenten in einem Punktesystem bestimmte Kriterien erfüllen, wofür sie eine Abgeltung erhalten. Wäre das auch was für die Gemüsebranche?
Der Standard kam letztlich auf Basis von Anforderungen eines Detailhändlers zu Stande, der eigene Nachhaltigkeits-Anforderungen beim Obst eingeführt hat. Innert Rekordzeit ist es der Branche gelungen, mit «Nachhaltigkeit Früchte» eine Lösung mit dem grössten Teil des Handels zu finden und die zusätzlichen Anstrengungen der Produktion abzugelten. Das ist vorerst einmal gut so und eine sehr gute Leistung. Viele der Massnahmen dürften aber mit dem Verordnungspaket zur Pa. lv schon bald Pflicht werden, dadurch wird sich der Standard auch laufend weiter entwickeln müssen. Optimalerweise wird sich SwissGAP so weiterentwickeln, dass der nachhaltige Standard der Obstbranche darin aufgehen kann und wir wieder einen einheitlichen Standard für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Früchte, Gemüse-und Kartoffelproduktion haben.
Kommentare