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Sauerkraut will aus dem Korsett der «Berner Platte» ausbrechen

Herbstzeit ist Sauerkrautzeit. Die Ernte von Weiss­kohl läuft in den Anbaugebieten auf Hochtouren. Doch der Konsum ist seit Jahren rückläufig. Die Sauerkraut­branche arbei­tet daran, den Konsumenten beizubringen, dass ihr Produkt auch in den warmen Monaten schmeckt.

Matthias Schumacher mit WeisskohlEs ist kühl an diesem Morgen im Seeland. Der Landwirtschaftliche Informationsdienst (LID) hat zur Exkursion zum Thema Sauerkraut eingeladen. Los geht es in Treiten auf dem Hofplatz von Matthias Schumacher. Er führt die anwesenden Journalisten und PR-Fachleute kurz in die Sauerkrautproduktion ein. «Die Pflanzzeit dauert von Mai bis Juni», erklärt er. Diese sei mit den Abnehmern abgesprochen, damit die Erntezeit im Herbst gestaffelt erfolgen könne. Er selbst habe in diesem Jahr einen Anbauvertrag für 110 Tonnen Weisskabis abgeschlossen, die er an die Sauerkrautfabrik Dreyer AG in Gerolfingen liefere. Weiter erfahren wir, dass es drei solche Fabriken in der Schweiz gibt; neben Dreyer AG, die Thurnen Sauerkraut AG in Mühlethurnen und die Schöni Finefood AG in Oberbipp. Die Hauptanbaugebiete liegen im Gürbetal, Seeland und im Zürcher Oberland.  Marktleader Schöni habe zudem vor kurzem im oberaargauischen Oberbipp eine neue Produktionshalle eröffnet, sagt Schumacher. Diese ersetze die bisherigen Anlagen in Uetendorf BE und in Hinwil ZH. Das sind wohl keine guten Nachrichten für die Kabisproduzenten im Zürcher Oberland, denkt sich der aufmerksame Zuhörer. «Die Firma Schöni sucht nun Produzenten in der Region Oberbipp», bestätigt Schumacher den Gedanken sogleich. Ingesamt produzieren in der Schweiz rund 250 Produzenten 5 000 Tonnen Weisskabis für die Sauerkrautproduktion.

Zur Tat schreiten

SauerkabisfeldAuf die theoretische Einführung folgt der praktische Teil. Auf dem Weisskabisfeld steht der Anhänger für die gerüsteten Kabisköpfe bereit. Jetzt ist Handarbeit gefragt. Denn diese sei bei der Ernte immer noch der Normalfall, obwohl es mittlerweile auch Erntemaschinen gebe, sagt Matthias Schumacher. Etwas hölzern bücken sich die an den Schreibtisch gewöhnten Exkur­sions­teilnehmer auf den Boden, um die Kabisköpfe mit einem satten Schnitt vom Stengel zu trennen. «Möglichst so, dass sich die
Aussen­blätter leicht lösen lassen», erklärt Schumacher. Danach folgt quasi das Endrüsten, denn der Vertrag schreibe «weisse, saubere Köpfe» vor. Die mehrere Kilogramm Gramm schweren Kabisköpfe landen schliesslich im Anhänger. Geübte Erntehelfer schafften laut Schumacher 500 kg pro Stunde. Eine echte Leistung, ganz besonders bei so kühlen Temperaturen.
Während der inszenierten Ernte beklagt sich Schumacher über die zu tiefen Preise. Rund 22 Rappen erhält er in diesem Jahr pro Kilogramm, nach Abzug der Entsorgungsgebühr und des Werbebeitrags. Trotzdem lohne es sich noch und ein Anbauvertrag sei natürlich auch nicht allzu schlecht, weil er eine gewisse Sicherheit biete. Und das in einem eher unsicheren Umfeld: Der Sauerkrautkonsum ist nämlich seit Jahren rückläufig. Schumacher hofft auf die beiden neuen Werbeträger Hans und Barry aus den TV-Spots. Seit diesem Herbst setzen sich der Berner Sennenhund und die Gans nämlich auch für den Absatz von Sauerkraut ein. Genau zur richtigen Zeit also, denn im Herbst beginnt in den Läden die Sauerkrautsaison. Dass diese «Saisonalität» nicht nur gerne gesehen wird, erfahren wir später vom Sauerkrautfabrikanten selbst.

Ein Drittel des Sauerkrauts kommt aus Gerolfingen

Wenn der Anhänger auf dem Weisskabisfeld von Matthias Schumacher voll ist, fährt er mit diesem in die 8 Kilometer entfernte Sauerkrautfabrik der Firma Dreyer AG in Gerolfingen. Den gleichen Weg nimmt die Exkursionsgruppe nun auf sich. Bei der Abladestation vor der Fabrik steht ein Anhänger mit frischen David DreyerKabisköpfen. «Ässid diir ou Suurchrutt?» ruft es vom Wagen herunter. Die Jungen würden nämlich immer weniger Sauerkraut essen, klärt der Kabis-Produzent die Gruppe auf. Sauerkraut ist in dieser Region eine Herzensangelegenheit. Das gilt auch für David Dreyer, dem Marketing-Verantwortlichen in der Fabrik, die seit Jahrzehnten Sauerkraut herstellt. Rund ein Drittel der gesamten Schweizer Sauerkraut-Produktion wird in diesen Produktionshallen verarbeitet. Gar 100 Prozent sind es bei den Sauerrüben, der anderen Spezialität aus dem Hause Dreyer.

Kabisstrunk wird ausgebohrt

David Dreyer führt die Gäste durch den ganzen Produktionsprozess. Die Tour startet bei der Abladestation. Dort wird ein Blick auf die abgelieferte Ware geworfen. Die Produzenten seien seit Jahren die Gleichen und sie wüssten, auf was es bei der Qualität ankomme, sagt Dreyer. Es gebe selten Diskussionen. «Wir suchen übrigens noch ein bisschen Ware, weil der Hagel in einigen Produktionsgebieten gewütet hat», sagt Dreyer ganz nebenbei. Im Lagerraum stehen 35 Paletten abgepacktes Sauerkraut auf «Standby», die bei kurzfristigen Aktionen zum Einsatz kommen. In der Produktionshalle beginnt nun der Prozess, der in der Branche als «Einschneiden» beschrieben wird. Wenn der Laie sich seit Jahren fragte, was eigentlich genau mit «Einschneidekabis» gemeint ist, dann weiss er es nun: Der Strunk des Kabiskopfs wird herausgebort und der Kabis danach in der Hobelmaschine in Streifen geschnitten. Auf dem Rollband versorgt eine computergesteuerte Maschine den verarbeiteten Kabis mit der richtigen Portion Salz. Anschliessend rollt der geschnittene Kabis auf den Fliess­bändern in grosse Gärsilos, wo er je nach Temperatur zwei bis sechs Wochen bleibt und zum eigentlichen Sauerkraut heranreift. Ist es soweit, wird es mit der entsprechenden Rezeptur verfeinert und pasteurisiert. Bis zu 18 Monate ist es dann haltbar.
Lange über die Winterzeit hinweg also. Und trotzdem isst Herr und Frau Schweizer vor allem in der kühleren Jahreszeit Sauerkraut. Eine Tatsache, die den Sauerkrautfabrikanten zuweilen Kopfzerbrechen bereitet. «In Deutschland wird Sauerkraut während des ganzen Jahres gegessen», greift sich David Dreyer an den Kopf. Essgewohnheiten zu ändern gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben von Marketingfachleuten. Trotz beträchtlichem Aufwand ist es bis jetzt nicht gelungen, aus Raclette ein Sommermenü zu machen. Ähnliches gilt für Sauerkraut. Zudem kämpft die Branche immer noch mit dem «Berner Platten»-Image, in dessen Korsett Sauerkraut immer noch eingezwängt ist. Die Verwendungsmöglichkeiten seien aber bedeutend vielfältiger, sagt David Dreyer. Ein Kleber auf der Verpackung verweist deshalb auf alternative Rezepte im Internet.

Warmer Herbst

«Sauerkraut macht sexy» steht auf den Kartons mit den Sauerkrautpackungen. Vielleicht etwas gewagt dieser Slogan. Aber immerhin: Er fällt auf. Wegen den warmen Temperaturen in den ersten Herbstwochen verlaufe das Geschäft laut Dreyer bis jetzt noch etwas harzig. Doch damit ist es ja nun vorbei. Er hofft neben der Kälte auf einen zusätzlichen Effekt: «Sauerkraut ist wegen des relativ günstigen Preises ein typisches Wirtschaftskrisenprodukt». Wenn wir schon dabei sind: Führen die oft kritisierten Discounter eigentlich auch Sauerkraut im Angebot? «Lidl verkauft Schweizer Sauerkraut», sagt David Dreyer. Aldi verkaufe – wenn überhaupt – Ware aus Deutschland. Mit dieser könne ein Schweizer Sauerkrauthersteller preislich aber nicht mithalten.

Agrotourismus im Seeland

Nach dem Besuch in der Sauerkrautfabrik in Gerolfingen führt der Weg zurück nach Treiten. Im Gewächshaus des Betriebes der Familie Aebersold sind die Tische gedeckt. Logisch eigentlich, dass es eine Berner Platte gibt. Mit Sauerkraut eben, wie es die Tradition vorsieht. Womit Gesagtes vom Morgen bestätigt wäre. Gastgeber Charles Aebersold stellt den Betrieb kurz vor. Geführt wird er seit letztem Jahr vom Sohn und der Schwiegertochter. «Ich bin nun der einzige Portugiese auf dem Betrieb, der Mundart spricht», schmunzelt der rüs­tige Rentner. Seit ein paar Jahren führt er im Rahmen eines Agrotourismus-Angebotes interessierte Gruppen aus dem In- und Ausland durch die Gemüsefelder des Grossen Mooses. Der ehemalige Grossrat holt vor dem Essen zu einer engagierten Rede zu Gunsten des einheimischen Gemüsebaus aus. «Wie sinnvoll ist es eigentlich, Gemüse aus einer Gegend im Ausland einzuführen, die unter akutem Wassermangel leidet?» fragt er die hungrige Reisegruppe rhetorisch. Es sieht aus, als ob er für sich den Abstimmungskampf gegen ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU bereits eröffnet hat. Es gibt keinen Zweifel: Als glaubwürdiger und kompetenter Referent würde er auf jedes Podium passen.

www.powerkraut.ch

Veröffentlicht in Blog

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