h4>LID-Mediendienst, 10. April 2003
Rumänien: Ein Agrarstaat ohne ausgebildete Landwirte
In Rumänien arbeitet fast die Hälfte aller Beschäftigten in der Landwirtschaft. Doch die staatliche Ausbildung versagt, die Bauern sind überfordert. Ein Schweizer Projekt leistet Basisarbeit.
14 von seinen 20 Kühen musste Bogdan Germann aus dem kleinen rumänischen Dorf Vatava verkaufen, weil er den aufgenommenen Kredit für seinen neuen Stall nicht mehr bezahlen konnte. Der Kreditgeber nahm es mit der Prüfung der Kreditwürdigkeit offenbar nicht allzu genau. Nur so ist zu erklären, dass Germann ein Agrarkredit gewährt wurde, obwohl er keine vernünftige Ausbildung aufweisen kann. Er erstellte nämlich einen Stall und setzte auf moderne Tiergenetik ohne zu wissen, wie er damit umgehen musste. Schliesslich standen nur magere Kühe im Stall, die kaum Milch gaben. Beim Kreditgeber handelt es sich übrigens um eine Organisation, die von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt wird.
Der Fall Germann ist typisch für das Land, das auch 13 Jahre nach dem Ende des Schreckensregimes von Nicolae Ceausescu noch nicht aus Apathie und Gleichgültigkeit erwacht zu sein scheint. Denn obwohl sich 50 Prozent der Bevölkerung mit Arbeiten in der Landwirtschaft über Wasser halten, gibt es im Karpatenstaat so gut wie keine ausgebildeten Landwirte. Aus purer Not pflanzen Sie auf den winzigen Feldern Kartoffeln oder Mais an und halten in kleinen Ställen zwei bis drei Milchkühe. Den Umgang mit Boden und Tier haben sie nie wirklich gelernt und höchstens ein paar Tipps der älteren Generation übernommen, die ihr Handwerk allerdings zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs erlernt haben. Genau in diese Zeit fühlt sich der Besucher versetzt, wenn er vorbei an romantisch anmutenden Pferdefuhrzügen durch das Land fährt. Doch für das Heer von Menschen, die gebückt auf den Äckern stehen, bedeutet dies die knallharte Realität im täglichen Kampf um das Überleben.
Massenweise Hilfsprojekte
Anfangs der neunziger Jahre waren im Fernsehen schreckliche Bilder aus den Kinderheimen Rumäniens zu sehen. Seither ist Rumänien zu einem wahren Tummelfeld für haufenweise Hilfsprojekte geworden, die der Bevölkerung aber oft nicht wirklich geholfen haben. Sobald heute in einem etwas entlegeneren Dorf ein Lieferwagen mit ausländischem Kennzeichen erscheint, tauchen in kürzester Zeit Dutzende von armen Menschen auf, welche die hohle Hand hinstrecken.
Helfen wollte vor fünf Jahren auch der Bernische Verband für Landtechnik (BVLT), als er mit dem Export gebrauchter Landmaschinen und Molkereianlagen begann. Mit der Gründung der beiden Vereine AGROM-CH und des rumänischen Pendants AGROM-RO wurde das Projekt 1999 ins Programm der DEZA aufgenommen und seither von dieser finanziert. „Doch spätestens nachdem ich die erste verrostete Maschine am Feldrand stehen sah, war mir klar, dass etwas nicht richtig läuft“, schaut Mitinitiator und BVLT-Geschäftsführer Peter Gerber auf eine aufregende Anfangsphase des Projektes zurück, in der viel Lehrgeld bezahlt werden musste. Die Stossrichtung wurde in Richtung theoretische und vor allem auch praktische landwirtschaftliche Ausbildung verschoben. „Es wurde uns plötzlich klar, dass wir auf viel tieferem Niveau beginnen mussten, da die Leute über keinerlei praktische Ausbildung verfügten“, erklärt Ueli Haslebacher, der das Projekt seit dem Jahr 2000 leitet. Als ehemaliger praktizierender Bauer weiss er, was eine Kuh zum Fressen braucht, damit sie Milch gibt, und wie eine Fruchtfolge aussehen muss, damit der Boden fruchtbar bleibt.
Uneinsichtige staatliche Stellen
Bei den meisten rumänischen Bauern ist es anders. Ein typisches Beispiel: Rund 50 Bergbauern und -bäuerinnen sitzen artig in einem kühlen Raum auf den Schulbänken und hören den Ausführungen eines einheimischen Agraringenieurs zu, der den Kartoffelanbau doziert. Besonders viel Zeit verbringt er mit der Schilderung der Spritzmethoden, die Namen der zu verwendenden Chemikalien werden gleich mitgeliefert. Der Dozent ist Direktor der phytosanitarischen Beratungsstelle. Die
AGROM verfolgt das AGROM-RO & AGROM-CH
ep. Die zwei Vereine AGROM-CH in der Schweiz und AGROM-RO in Rumänien wurden im Jahr 1999 gegründet und haben die Förderung der praxisnahen landwirtschaftlichen Ausbildung in Rumänien zum Ziel. In 4wöchigen Grundkursen wird Wissen über Fruchtfolgeplanung, Viehfütterung oder den Einsatz von Maschinen vermittelt. Bis heute haben über 100 Personen den Grundkurs belegt. In einer weiteren Phase kommen Rumänen und Rumäninnen jeweils für insgesamt 16 Monate in die Schweiz. Davon werden 5 Monate in Form eines Praktikums auf einem landwirtschaftlichen Lehrbetrieb und der Rest im Winterkurs des Inforamas Schwand in Münsingen BE verbracht. Die Ausbildung wird von AGROM bezahlt, als Gegenleistung verpflichten sich die Teilnehmenden für drei Jahre bei AGROM als Instruktoren in dezentralen Kursen in den Dörfern ihrer Heimat mitzuarbeiten. Bis zum aktuellen Zeitpunkt haben 13 Leute diese Ausbildung genossen. Zurzeit sind fünf Personen in der Schweiz.
Parallel dazu wird seit dem letzten Jahr ein Frauenprojekt betrieben, bei dem rumänische Frauen während einem Jahr an der Hauswirtschaftlichen Schule im Custerhof in Rheineck SG ausgebildet werden. Die Absolventinnen geben nach ihrer Zeit in der Schweiz das gelernte Know-how, das von Back- und Nähtechniken bis zu Ernährung reicht, an ihre Landsfrauen weiter. Bis heute hat eine Frau die Ausbildung abgeschlossen.
Das Projekt AGROM wird von der Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA) mit einem Beitrag von jährlich rund 400,000 Franken finanziert. In diesem Frühling hat AGROM-RO die Räume im neuen Standort innerhalb der landwirtschaftlichen Fakultät in Targu Mures bezogen. Langfristig soll das Projekt vollständig in rumänische Hände übergehen und profitabel wirtschaften.
Bergbauern erhalten nach der Veranstaltung ein „Diplom“, das zu ein paar zusätzlichen Lei Subventionen des Staates verhilft (100,000 Lei sind knapp 5 Franken). Und der Dozent hat etwas für den Absatz seiner Spritzmittel getan.
Typisch ist das Beispiel, weil in Rumänien eine aufgeblähte Agrarbürokratie um ihre Rechtfertigung kämpft und letztlich auch um die Existenz bangt. Die ländliche Bevölkerung ist wegen dem unkontrollierten Wildwuchs an privaten und staatlichen Beratungsangeboten von so genannten Agrarspezialisten verunsichert. Eine Ausbildungsstrategie seitens des Staates ist nicht zu erkennen. Die AGROM-Leute haben mit ihren einfachen Lösungsansätzen und Methoden zuerst vor allem ein Kopfschütteln provoziert. Zur Verbesserung der Milch- und Fleischleistung entwickelten sie beispielsweise mit Hilfe von Armierungseisen ein einfaches Siliersystem. „Mittlerweile sehen immer mehr Bauern ein, dass sie durch die qualitativ bessere Fütterung mehr Milch produzieren und damit mehr Geld verdienen können,“ erläutert Ueli Haslebacher mit hörbarem Stolz. Das Armierungseisen kosten die Produzenten übrigens die stolze Summe von umgerechnet rund 50 Euro (75 Franken). Prinzip, dass nichts kostenlos abgeben wird. „Nur so lernen sie die Sache zu schätzen und geben sich entsprechend Mühe“, erklärt der einheimische AGROM-RO-Geschäftsführer Steff Tibiu die Strategie. Der Erfolg gibt ihm Recht: Bisher wurden über 280 Siliergitter verkauft, die Tendenz ist deutlich steigend.
AGROM kämpft nicht nur gegen das anfängliche Misstrauen der Bauern an, die sich nicht gerne von fremden Leuten belehren lassen. Auch die nach den alten Mustern operierenden staatlichen Beratungsstellen zeigen sich äusserst unkooperativ und uneinsichtig. Viel lieber fördern sie weiterhin das Ausbringen von teuren Kunstdüngern, währenddem Gülle und Mist ungenutzt in Gewässern verschwinden. Auf seinen zahlreichen Besuchen in den Dörfern wirft Ueli Haslebacher in diesem Zusammenhang vor den staunenden Bauern gerne ein paar Zehntausend-Lei-Scheine auf den Boden um zu dokumentieren, dass sie auf diese Weise tagtäglich Geld verlieren. „Es bringt einfach nichts, den Leuten hier moderne Techniken wie den Embryotransfer zu zeigen, bevor sie nicht wissen, wie man eine Fruchtfolge plant oder den eigenen Hofdünger verwendet“, bringt er die Problematik auf den Punkt.
Fakten zur rumänischen Landwirtschaft
Bevölkerung total: 22,3 Mio.
Im Agrarsektor Beschäftigte: 40-50 Prozent
Landwirtschaftliche Nutzfläche: 14,3 Mio. ha
Durchschnittliche Betriebsgrösse: 2-3 ha
Milchpreis: ca. 28 Rp./kg
Weizenpreis: ca. 23 Fr./100 kg
Milchleistung: 2,500 bis 2,800 kg/Jahr
Wichtigste Produkte: Milch, Mais, Weizen
Die Agrarbürokratie ist doch lernfähig
Als am Samstag, 5. April der neue AGROM-Standort mit moderner Werkstatt, Küche, Büros und Seminarräumen in der 160,000-Seelen Stadt Targu Mures im Norden Transsilvaniens feierlich eingeweiht wurde, erntete Ueli Haslebacher viel Applaus von im Publikum anwesenden Bauern, die sich in den letzen beiden Jahren von den Methoden von AGROM überzeugen liessen. Im vergangenen Jahr besuchten 147 Frauen und Männer den Grundkurs, trotz einer verhältnismässig hohen Gebühr von umgerechnet 450 Franken. Bei den ebenfalls eingeladenen Vertretern der staatlichen Stellen waren zwar während der Eröffnungszeremonie mancherorts noch ein Kopfschütteln und ein unsicheres Lächeln zu beobachten. Doch bereits forderten ranghohe Beamte auf dem Podium, dass das landwirtschaftliche Ausbildungssystem unbedingt praxisbezogener zu gestalten sei. Manche Menschen – auch Rumänen, die in den vergangenen Jahren von staatlichen Beratern haufenweise zum Narren gehalten wurden – brauchen eben etwas länger um zur Einsicht zu gelangen. Das rumänische Agrarbildungssystem wird mittelfristig kaum darum herum kommen, die Ausbildungskonzepte von AGROM zu übernehmen, ansonsten wird es früher oder später die junge bäuerliche Basis verlieren.
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