Seit diesem Jahr erlauben die Richtlinien von Bio Suisse die Prüfung von Biolebensmitteln mit dem Röntgendetektor. Vorher war dafür eine befristete Spezialbewilligung nötig.

Hunderte von Teiglingen von Bio-Steinofenbroten sind gerade unterwegs auf dem Rollband durch die Produktionslinie der grössten Bäckerei der Schweiz in Gränichen. Zuvor reifte der Teig mehrere Stunden heran. «So wie das auch in einer traditionellen Bäckerstube üblich ist», erklärt Corinne Blum. Sie leitet den Migros-Industrie-Standort der Fresh Food & Beverage Group – ehemals Jowa – und ist Chefin von rund 750 Mitarbeitenden. Acht davon bringen die rohen Brote nun von Hand in Form, bevor diese schliesslich in den grossen Steinofen gelangen und gebacken werden. Alles lasse sich eben nicht automatisieren, sagt Corinne Blum. Vieles aber schon. Beispielsweise im Bereich der Produktesicherheit. Fast am Ende der Produktionslinie durchleuchtet deshalb ein Röntgen-Detektor die in Kartonkisten verpackten, auslieferbereiten Knospen-Brote. Das Gerät erkennt Fremdkörper, die trotz einer Vielzahl von bereits zuvor angeordneten Vorsichtsmassnahmen nicht dort sein sollten. Dabei geht es nicht um Haare, Schnüre oder Papier. «Diese sind zwar unangenehm und natürlich auch unerwünscht, aber für die Konsumierenden nicht gefährlich», erklärt Marc Lutz, Leiter Qualität bei Migros-Industrie. Anders sei das bei gesundheitsgefährdenden Fremdkörpern wie Hartplastikteilen, Glassplitter, Stein oder auch Nussschalen. Im Gegensatz zum in der Industrie oft eingesetzten Metalldetektor erkenne der Röntgendetektor diese. «Er identifiziert im Falle von Brot ein Fünftel mehr Fremdkörper als der Metalldetektor», erklärt Marc Lutz.
Befristete Bewilligungen sind ineffizient
Die Bio-Szene begegnet der Einführung neuer Technologie in bestimmten Bereichen mit Vorsicht. Dazu zählt auch der Röntgendetektor bei der Produktkontrolle in der Lebensmittelindustrie. Bis letztes Jahr erlaubte Bio Suisse den Lizenznehmern dessen Einsatz in den Knospen-Produkten deshalb nur mit einer befristeten Spezialbewilligung bei Produkten mit erhöhtem Risiko. Diese war ein Kompromiss, welcher die steigenden Anforderungen der Industrie mit kritischen Stimmen der Biobranche vereinte. Lebensmittelindustriebetriebe wie die Migros-Industrie-Bäckerei in Gränichen fühlen sich verpflichtet, sämtliche verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen, welche die Sicherheit und Hygiene in Lebensmitteln verbessern. Und dazu gehört eben auch die Röntgen-Detektion, unter anderem um den international anerkannten Ansatz des HACCP-Konzepts zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit erfüllen zu können. «Es kann ja nicht sein, dass Knospen-Produkte ein tieferes Sicherheits-Niveau aufweisen als andere Lebensmittel», findet Marc Lutz. Seit Jahren forderten Knospen-Lizenznehmerbetriebe wie die Migros Industrie von Bio Suisse die unkomplizierte Zulassung des Einsatzes des Röntgendetektors in den Richtlinien. «Denn befristete Bewilligungen erhöhen den administrativen Aufwand in den Betrieben und ermöglicht keine langfristige Planungssicherheit», erklärt Marc Lutz.

Umfeldanalyse mit den Betroffenen
Vor zwei Jahren setzte sich die Markenkommission Verarbeitung und Handel (MKV) von Bio Suisse deshalb mit den betroffenen Interessengruppen und unabhängigen Experten an einen Tisch. Sie führte eine Umfeldanalyse zum Thema Röntgendetektion für verarbeitende Knospen-Lizenzbetriebe durch. In Workshops und mit Betriebsbesuchen vor Ort sollten Bedenken ausgeräumt werden. Da war zum einen der Begriff «Röntgen», gerne assoziiert mit «Bestrahlung», was bei einigen bioaffinen Menschen die Alarmglocken läuten lassen. Ausserhalb von Europa werden Lebensmittel zum Teil tatsächlich aus hygienischen Gründen bestrahlt. In der Masseinheit für ionisierende Strahlung ausgedrückt sind das für die Bekämpfung von Salmonellen bis zu 10’000 Gray. Aber: Ein typischer Wert bei der Röntgendetektion wie in Gränichen liegt bei bloss 0.00005 Gray. Die Strahlung von Röntgeninspektions-Systemen für Lebensmittel sind tief und liegen unter natürlich vorkommenden Strahlungsquellen wie Radon oder sogar Sonnenstrahlen. «Deshalb muss ich hier vor dem Gerät auch keine spezielle Kleidung tragen», sagt Betriebsleiterin Corinne Blum währenddem der Röntgendetektor neben ihr die Bio-Steinofenbrote durchleuchtet.

Ab diesem Jahr zugelassen
Auf gesetzlicher Ebene verbieten die Bioverordnung der Schweiz und auch die der EU die Behandlung von Lebensmitteln mit «ionisierender Strahlung». Doch gemäss Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) gilt dies nicht bei der Bestrahlung von Lebensmitteln durch Mess- und Prüfgeräte, wenn die absorbierte Strahlung nicht mehr als 0,5 Gray beträgt. Nach eingehenden Diskussionen in den Gremien von Bio Suisse und der vorsichtigen Abwägung der Chancen und Risiken beantragte die MKV schliesslich eine Anpassung der Richtlinien, welche die Röntgendetektion für Prüfungszwecke grundsätzlich zulässt. In der Vernehmlassung zur geplanten Richtlinienanpassung gingen keine Einwände von Mitgliederorganisationen ein. Deshalb gilt die Regelung ab diesem Jahr nun offiziell. Marc Lutz ist Bio Suisse dankbar dafür: «Es ist ein starkes Bekenntnis für mehr Lebensmittelsicherheit für die Konsumentinnen und Konsumenten!»
Was passiert bei der Röntgendetektion in Lebensmitteln? Die elektromagnetischen Wellen der Röntgenstrahlen durchdringen das Material. Je nach Dichte werden mehr oder weniger Strahlen absorbiert. Das Röntgengerät unterscheidet Fremdkörper wie Metall, Glas, Stein, Knochen oder Kunststoff aufgrund verschiedener Dichten vom Lebensmittel. Ein Sensor wandelt die abgeschwächten Röntgenstrahlen in ein Bild um, in dem dichtere Materialien heller oder dunkler erscheinen. Die Detektionssoftware analysiert das erzeugte Bild und identifiziert Abweichungen oder Fremdkörper. Ein betroffenes Produkt wird automatisch aussortiert. |
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