Nach einem schweren Arbeitsunfall vor etwas mehr als einem Jahr will Dominik Howald nur eines: So schnell wie möglich wieder als Landwirt arbeiten.
Bis spät in der Nacht war Dominik Howald am Vorabend noch auf dem Kartoffelfeld unterwegs. Am folgenden Morgen steht der gelernte Landmaschinenmechaniker dann bereits wieder auf dem Acker in Dettligen, wo er im Lohn für seinen Arbeitgeber Seeland BIO unterwegs ist. Er sieht den bedeckten Himmel. Sein Hirn stellt instinktiv in den Modus «möglichst schnell alle Kartoffel rausnehmen, bevor der Regen kommt». Noch husch-husch die in der Walze eingewickelten Stängel des Krautes vom Vortag entfernen. Doch: Mit blosser Manneskraft unmöglich. Dominik Howald startet deshalb den selbstfahrenden Siebkettenroder DeWulf RC 3060 und lässt die Walze laufen. Er greift hinein und es passiert. Sein rechter Arm wird zwischen Siebband und Zupfwalze hereingezogen. Er ist allein. Schreit um Hilfe. Irgendwie gelingt es ihm, mit dem linken Arm sein Mobiltelefon aus der rechten Hosentasche zu ziehen. Doch der Fingerprint ist für den rechten Zeigefinger eingestellt. Erst im zweiten Versuch kann er den Bildschirm mit dem Code entsperren. Es ruft einen Freund an, von dem er weiss, dass er in der Nähe arbeitet. Doch dieser ist unterwegs, alarmiert aber seine Arbeitskollegen. Die Maschine läuft immer noch, verschlingt den rechten Arm richtiggehend. Ein Spaziergänger hört die Hilferufe und ruft die 144 an. Die Walze dreht unbarmherzig weiter.
Ärzte können Hand nicht retten
Erst als die ersten Helfer vor Ort eintreffen, können diese endlich die Maschine anhalten. Zum Glück konnte Dominik Howald über Nacht den Werkstattbus des Kunden benutzen. In diesem finden die Retter einen Akku-Winkelschleifer, mit dem sie das Siebband durchtrennen und den heute 28-Jährigen endlich aus seiner misslichen Situation befreien können. Die Ambulanz fährt zu, fast gleichzeitig landet der Rettungshelikopter. Der Rettungsarzt sieht, dass die Hand mit den Fingern zwar noch fast ganz vorhanden ist, doch dahinter ist nicht mehr viel übrig. Dominik Howald erinnert sich nur noch daran, dass ihn der Arzt nach seinem Gewicht fragte, um die Medikamente richtig zu dosieren. Vom Flug ins Berner Inselspital bekommt er nichts mehr mit. Die Operation dauert elf Stunden. Die Ärzte diskutieren über Möglichkeiten, den Arm zu retten. Doch das Gewebe ist zu schwer verletzt. Als Dominik Howald am Abend des 3. Oktobers 2018 aus der Narkose erwacht, erkennt er zuerst seine Freundin, die Schwester und die Eltern am Krankenbett. Dann schaut er nach rechts und sieht, dass ihm der rechte Unterarm fehlt.
Ein Psychologe kümmerte sich in der ersten Phase um Dominik Howald, um ihn mental in der neuen Lebenssituation aufzufangen. «Er war im ersten Moment schon eine gute Hilfe», sagt er ein Jahr später im Büro seines Arbeitgebers in Ried bei Kerzers. Doch schon bald braucht er seine Ratschläge nicht mehr. «Ich hatte mich wohl schneller als üblich mit meiner neuen Situation abgefunden.» Dabei habe ihm auch sein Umfeld geholfen sowie die Chefs, die ihn von Anfang an unterstützten. Auch die Schmerzen sind aushaltbar, der bei Amputationen befürchtete Phantomschmerz tritt bei ihm nur am Anfang auf. Für Dominik Howald ist schnell klar: «Ich will weiterhin als landwirtschaftlicher Angestellter mit Maschinen arbeiten.» Noch im Spital meldet sich die Polizei mit einer Anzeige wegen Nichteinhaltens der Sicherheitsvorschriften. Am Schluss muss er eine Busse von 350 Franken bezahlen.
Neues Leben mit linker Hand
Schon nach 14 Tagen kann Dominik Howald das Spital verlassen und geht anschliessend für drei Wochen in die Suva-Rehabilitationsklinik nach Bellikon. Dort zeigt man ihm, wie er künftig ohne rechten Unterarm durchs Leben kommt. Das heisst: wie man einhändig Sachen erledigt, technische Hilfsmittel nutzt oder eben auch lernt, mit der linken Hand zu schreiben. Die Werkstatt, in der seine erste provisorische Prothese angefertigt wird, erinnert ihn an seinen Arbeitsalltag. «Anstatt Eisenteile spannten die Mechaniker Bein- und Armprothesen ein», schmunzelt er. Gleichzeitig erfolgte der Start in die Welt von Ämtern und Experten. Die Unfallexperten helfen ihm, die Formulare für die Invalidenversicherung (IV) richtig auszufüllen. Die IV drängt ihn vorerst in langen Gesprächen auf eine Umschulung. «Es war ziemlich schwierig, ihnen klarzumachen, dass ich unbedingt in meinen angestammten Beruf zurückkehren wollte», sagt er. Unterstützt wird er dabei von seinem Arbeitgeber. Sein Chef Bruno Christen ist überzeugt, dass er die neue Situation meistern wird: «Ich habe selten jemanden mit einem so grossen Willen erlebt wie Dominik ihn an den Tag legt.» Und natürlich sei er vor allem ein fachlicher ausgezeichneter Mitarbeiter, den man unbedingt auf dem Betrieb halten wolle.
Beamte bremsen ihn
Keine zwei Monate nach dem Unfall meldet sich Dominik Howald zurück zur Arbeit. Noch ohne Prothese, weil der Stumpf noch zu geschwollen ist. Erst ein paar Monate später im Mai kann er den künstlichen Unterarm überziehen. Bis heute erlaubt ihm die IV nur ein Arbeitspensum von zehn Prozent. «Sie müssen sich Zeit geben Herr Howald», heisst es immer wieder von Beamten-Seite. Es ist eine harte Probe für den ungeduldigen jungen Mann. Privat kauft er sich ein neues Auto, bei dem die IV den Umbau auf einhändiges Führen finanziert. Das Strassenverkehrsamt verbot ihm bis vor ein paar Wochen aber das Traktorfahren mit der Prothese. «Ich musste meine Ärztin lange bearbeiten, bis sie dem Amt das OK dafür gab», sagt er. Auch das ist für ihn unverständlich: «Eigentlich ist das ja mit den stufenlosen Getrieben gar kein Problem.» Die Ergotherapeutin schreitet mit ihm durch die Betriebe an den drei Standorten von Seeland BIO in Ried, Büchslen und Greng. Sie notiert Anpassungen, die auf dem Betrieb und an Maschinen gemacht werden müssen, damit Dominik Howald wieder «normal» arbeiten kann. Die IV bezahlt die notwendigen Umbauten, unter anderem im Traktor die Versetzung des Joy-Sticks und der Bedienfläche von der rechten auf die linke Seite. Das hört sich nach hohen Investitionen an. Doch Bruno Christen relativiert: «Die zuerst von der IV angestrebte Umschulung hätte viel mehr gekostet.»
Dass Dominik Howald von der IV aus nur einen halben Tag pro Woche arbeiten darf, fasst dieser schon fast als Bestrafung auf. Das Nichtstun zu Hause ist ihm ein Graus. Deshalb ist er auch ausserhalb der «erlaubten» Arbeitszeit oft auf dem Betrieb unterwegs, wenn auch nur passiv. Etwas Ablenkung gibt ihm sein Hobby, die Restaurierung von alten oder kaputten Traktoren. In der Werkstatt seines Stiefvaters bringt er zurzeit gerade einen Fendt 515c wieder zum Laufen. Es ist eine gute Übung für einhändiges Arbeiten. Er merkt aber, dass er künftig mehr auf Hilfe angewiesen sein wird als bisher. Das ist für ihn aber kein ernsthaftes Problem: «Wenn ich ein schweres Teil anschrauben muss, rufe ich einen Kollegen an». Einen 50-Kilogramm-Düngersack wird er künftig nicht mehr alleine einfüllen können.
Hightech-Handprothese der Grösse L
Auf dem Bildschirm am Computer zeigt er seine zukünftige Hand. Sie erinnert ein bisschen an Science-Fiction-Filme. «Keine Angst, da kommt noch eine hautfarbige Hülle darüber», erklärt Dominik Howald. Er hat sich für eine möglichst unscheinbare Variante entschieden. Eine Alternative wäre Karbon, doch die gibt es nur in dunkler Farbe. Er aber will künftig möglichst wenig auffallen. Einfach wieder normal arbeiten. Im Januar folgt die nächste Operation, bei der alles für die neue Prothese vorbereitet wird. «Drei bis vier Wochen Heilungszeit und dann geht es los», schaut Dominik Howald zuversichtlich in die Zukunft. Bei der Prothese handelt es sich um Hightech, die eng zusammen mit dem Körper funktionieren muss. Muskelkontraktionen geben elektrische Spannungen im Mikrovoltbereich ab, die ausreichen, um Motoren in Betrieb zu setzen, die Greifbewegungen auszuführen. «Ich konnte angeben, welche es bei mir sein sollen», erklärt er. Seine Handprothese hat Grösse L und ist mit zwei Daumenfunktionen sowie einem Haken zum Heben von schweren Lasten ausgestattet.
Zukunft als Landwirt
Danach hofft Dominik Howald, dass sein Arbeitspensum bald wieder ein normales Level erreichen wird. Der Landmaschinenmechaniker und zusätzlich ausgebildete Gemüsegärtner EFZ hat grosse Zukunftspläne: Er möchte dereinst die Betriebe seines Grossvaters und der Eltern übernehmen. Was er aus seinem Unfall gelernt hat? «Hantiere nie an einer laufenden Maschine und schon gar nicht alleine». Doch seine Geschichte habe wohl bereits präventive Wirkung erzeugt, schmunzelt er. «Kollegen sagen mir immer wieder, dass sie an mich denken, wenn sie an einer Maschine arbeiten.»
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