Der Agronom Rudolf Guyer ist überzeugt, dass freiere Märkte und weniger Subventionen zur Lösung des Hungerproblems beitragen. Er kennt die internationale Landwirtschaft aus seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit im Pflanzenschutzsektor.
Weshalb leiden immer noch 850 Millionen Menschen weltweit an Hunger?
Rudolf Guyer: Das Problem liegt nicht in der Produktion von Lebensmitteln. Auch nicht bei der Verteilung, wie oft propagiert. Hunger ist viel mehr die Folge von fehlender wirtschaftlicher Entwicklung. Den Leuten fehlt in den betroffenen Ländern oft das Geld, um die eigenen landwirtschaftlichen Produkte zu kaufen. Der Wirtschafts-Motor kann so nicht ins Rollen kommen.
Weshalb ist das so?
Weil die Leute keine Möglichkeiten haben, genügend Einkommen zu erzielen. Zum anderen bieten die Rahmenbedingungen für die lokale landwirtschaftliche Produktion oft zu wenig Anreize, die nötigen Lebensmittel für die lokale Bevölkerung zu produzieren. Für den Bauern besteht gar keine Motivation die Produktion zu erhöhen, weil er sie gar nicht verkaufen kann. Kommt dazu, dass die lokale Produktion oft mit billigem, subventioniertem Überschussgetreide aus dem Ausland konkurrieren muss.
Dann wäre die Liberalisierung der protektionistischen Landwirtschaften in den westlichen Ländern also eine Möglichkeit, das Hungerproblem zu bekämpfen?
Zum einen ja. Doch andererseits bestehen in den betroffenen Ländern oft auch logistische Probleme. Mais in Mozambique beispielsweise, der auf den schlechten Strassen 100 km vom landesinnern an den Hafen transportiert werden muss, ist dort teurer als der aus den USA importierte Mais. Zudem fehlt es an Möglichkeiten, eine lokale Überschussproduktion professionell zu lagern. In vielen afrikanischen Grossstädten mit Zugang zu den Weltmärkten läuft es so.
Wäre es nicht wichtiger, dass sich die Leute zuerst wenigstens mit der eigenen Produktion ernähren können?
Rudolf Guyer
Aufgewachsen auf dem elterlichen Bauernhof in Seegräben ZH. Abschluss als Dipl. Ing. Agr. ETH im Jahr 1977. Promotion zum Dr.sc.agr. an der Universität Hohenheim (D) 1987. Tätig für Ciba-Geigy in Spanien und Brasilien, Aufbau von Forschungsstationen für Reis und Gemüse in Indonesien, Saatgutleiter und Marketingleiter Pflanzenschutz in Deutschland, Leiter Strategisches Marketing Pflanzenschutz in Basel. Seit dem Jahr 2000 Bereichsleiter der Region „Middle East North Africa“ bei Syngenta Agro AG in Basel. Präsident von CropLife Africa Middle East und Lehrbeauftragter an der SHL Zollikofen. Mitglied der Kommission Internationale Landwirtschaft beim SVIAL.
Ich glaube nicht, dass sich durch Subsistenz-Landwirtschaft das Hungerproblem lösen lässt. Es ist schlicht unrealistisch, dass jeder Städter auf seiner Datscha seine eigenen Produkte anbaut. Was es braucht ist eine professionelle, arbeitsteilige Landwirtschaft, die moderne Düngungsmethoden nutzt und Pflanzenschutzmittel einsetzt.
In welchen Ländern entwickelt sich die Landwirtschaft in diese Richtung?
Im Osteuropa und Russland beispielsweise. Länder wie die Ukraine oder Russland sind daran, ihre frühere Bedeutung als Kornkammer zurückzuerlangen. Grosse Pflanzenschutzfirmen wie Syngenta investieren vor allem in diese Regionen und immer weniger in Afrika. Das zeigt, dass die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft in Afrika nicht attraktiv sind.
Die Zukunft der Landwirtschaft liegt also in der intensiven Produktion?
Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass wir eine hoch intensive Landwirtschaft brauchen. Diese muss aber nachhaltig wirtschaften und den Boden für kommende Generationen fruchtbar erhalten. Tatsächlich spielen Hilfsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel eine wichtige Rolle dabei.
Das heisst: Mehr Pestizide und mehr gentechnisch veränderte Produkte?
Das tönt jetzt sehr polemisch. Ich kenne aber keinen Bauern, der seinen Acker willentlich versaut. Nur mit modernen Technologien werden wir aber die zunehmende Weltbevölkerung ernähren können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich auch die Hilfsmittel in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt haben und viel umweltverträglicher sind. Und die Anwender sind besser ausgebildet. Letztlich können wir nur durch die intensive – aber nachhaltige- Bewirtschaftung geeigneter Böden andere bedrohte Flächen wie den Tropenwald vor der Zerstörung schützen. Uns bleibt keine Wahl.
In der Schweiz gibt es viele Leute, die ganz bewusst Produkte aus so genanntem fairem Handel kaufen. Man hört aber oft, dass gerade intensiv wirtschaftende Grossbetriebe die Arbeiter ausnutzen.
Dem würde ich vehement widersprechen. Unabhängig von der Branche bieten erfolgreiche internationale Konzerne – wie beispielsweise die Syngenta – oft bessere Arbeitsbedingungen als kleinere lokale Arbeitgeber. Das macht auch Sinn, denn nur motivierte Mitarbeiter bringen einen Betrieb weiter.
Um Motivation der Mitarbeiter geht es letztlich auch bei Ihrem Engagement im Rahmen von „CropLife Africa Middle East“ in Afrika. Was macht diese Institution?
Bei CropLife handelt es sich um den Verband der agrochemischen Industrie, der sich in der Öffentlichkeit für mehr Akzeptanz von Pestiziden und Biotechnologie einsetzt. Der Verband ist global tätig. Ich bin darin als Präsident verantwortlich für die Region Afrika.
Obwohl Afrika für die agrochemische Industrie kaum von Bedeutung ist?
In der Tat sind die Umsätze mit Pflanzenschutzmitteln auf dem afrikanischen Kontinent gering. Und doch wollten wir mit dem Engagement in Afrika ein Zeichen setzen und Wege aufzeigen, wie sich der Kontinent moderne Technologien zur Lösung des Hungerproblems zu nutzen machen könnte. Es ist aber vor allem auch ein persönliches Engagement.
Man hat aber von aussen eher den Eindruck, dass Afrika vor allem als Abfallkübel für in der westlichen Welt nicht mehr zugelassene Pestizide dient.
Genau hier setzt die Organisation ein. Wir kämpfen für bessere Gesetze bezüglich Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in den einzelnen Ländern, denn diese fehlen dort oft. Es ist richtig, dass viele Firmen diese Situation in der Vergangenheit und zum Teil heute noch ausnützten. Der negative Touch fällt letztlich auf grossindustrielle Betriebe zurück wie die Syngenta, die nur mit Produkten handelt, die westliche Standards erfüllen. CropLife organisiert und finanziert teilweise die Entsorgung der schätzungsweise 30’000 Tonnen Altpestizide in Afrika. Zudem bilden wir Leute aus und erklären ihnen die richtige Anwendung der Pestizide.
Was kann eigentlich die Schweiz beitragen, damit sich der Schwarze Kontinent besser entwickelt?
Die Schweiz trägt mit ihrer Position dazu bei, dass die Doha-Runde der WTO nicht vorankommt. Sie wehrt sich mit den anderen nördlichen Ländern gegen die Forderung der Entwicklungsländer nach mehr Zugang für ihre Agrarprodukte auf unseren Märkten. Ich denke die Schweiz ist hier gefangen in ihrem Subventionssystem. Für viele Länder wäre der Zugang zu den Märkten ein wichtiger Schritt zu wirtschaftlicher Entwicklung.
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