Wer sich auf die regenerative Landwirtschaft einlässt, geht bewusst ein Risiko ein. Dieses sei zu gross, finden Exponenten der konservierenden Landwirtschaft. Beide Ideen verfolgen aber das gleiche Ziel: einen gesünderen Boden.
Die Landwirtschaft befindet sich im Umbruch. Das hat nicht nur mit den sich ändernden politischen Rahmenbedingungen zu tun, in welchen beispielsweise immer mehr chemische Wirkstoffe gegen Unkraut, Schädlinge oder Krankheiten wegfallen. Vor allem intensiv bewirtschaftete Böden kommen leistungsmässig immer mehr ans Limit, die zunehmende mechanische Unkrautbekämpfung verschärft das Problem. Denn: Je intensiver der Boden bewegt wird, desto mehr Humus und damit Fruchtbarkeit geht verloren. Landwirte spüren, dass sie deshalb auf ihren Betrieben grundsätzlich etwas ändern müssen. Das erklärt auch das steigende Interesse an der sogenannten regenerativen Landwirtschaft. Dabei ist hier der Name Programm: Der Boden soll wiederhergestellt werden. Oder wie es im Buchtitel des amerikanischen Farmers Gabe Brown heisst: «Aus toten Böden wird fruchtbare Erde.» Er stellte in den 90iger Jahren seinen intensiv bewirtschafteten Fleischrinderbetrieb mit Ackerbau in North Dakota um, in dem er auf den Pflug verzichtete, auf permanente vielfältige Bodenbedeckung achtete, mit Zwischenbegrünungen experimentierte oder die Tiere weiden liess. Obwohl die Ausgestaltung der «regenerativen Landwirtschaft» nicht strikt definiert ist, setzte Brown damit so etwas wie die Eckpfeiler des Systems und wurde so zu einer der Ikonen einer neuen Bewegung.
Bewegung schwappt über
Seit ein paar Jahren ist diese auch in Europa respektive in der Schweiz angekommen. Nun befüllen auch hier immer mehr Landwirte ihre Pflanzenschutzspritzen mit Kompost-Tee oder injizieren Effektive Mikroorganismen (EM) mit speziellen Konstruktionen direkt in den vorher oberflächlich bearbeiteten Boden. Propagiert werden solche bodenbelebenden Massnahmen von den beiden deutschen Agronomen Dietmar Näser und Friedrich Wenz an Kursen über die regenerative Landwirtschaft, die mittlerweile auch in der Schweiz auf grosses Interesse stossen. «Die beiden füllen damit erfolgreich ein bestehendes Wissens-Vakuum über nachhaltige Bodenbearbeitungsmethoden auf», sagt Bernhard Streit von der Berner Fachhochschule (BFH). Ihn freue das neu erwachte Interesse der Landwirte am Boden grundsätzlich. Trotzdem warnt er vor zu viel Euphorie. Der Professor weiss, von was er spricht. «Ich habe mich praktisch mein ganzes Berufsleben lang mit dem Thema Direktsaat und pflugloser Bodenbewirtschaftung beschäftigt.» Es habe viele Jahre gebraucht, begleitet von vielen Rückschlägen, bis man praxisreife Lösungen für die Direktsaat präsentieren konnte. Im Unterschied zu den regenerativen Methoden sei der Nutzen der Direktsaat mittlerweile aber auch wissenschaftlich belegt, sagt er.
Eigenes Rezept für Kompost-Tee
Peter Zurbuchen aus Lippoldswilen TG ist Biogemüsegärtner und rekultiviert mit seiner Firma Zurbuchen Bodenschutz Gmbh die Böden von anderen Landwirten. «80 Prozent der von mir rekultivierten Böden sind biologisch so gut wie tot». Diese behandelt er dann mit einer Kompost-Tee-Mischung nach eigenem Rezept. Er ist überzeugt, dass die damit verabreichten Bakterien dem Boden neues Leben einhauchen. Er stellte extra einen Mikrobiologen an, der die Effekte des Kompost-Tees auf die Kulturen und den Boden nun untersucht. «Ich will das wissenschaftlich belegt haben.» Denn auch ihm fehlen erhärtete Nachweise über die Wirkung der regenerativen Methoden. Es gebe hier zwar wirklich interessante Ansätze. «Doch mich stört, dass der Eindruck erweckt wird, dass alle anderen Landwirte schlecht arbeiteten.» Zudem weiss er von Betrieben, die in grosse Schwierigkeiten geraten seien. In seinen Augen habe es in dieser Szene zu viele Leute, die Geld verdienen, aber den Landwirten keine echte Hilfe seien. Oft fehle es beispielsweise an Kenntnis für den richtigen Umgang mit Bodenbearbeitungsmaschinen. «Auch ich bringe bei mir die Gründüngung mit der Schälfräse in den Boden», erklärt er. Und das funktioniere bis in eine Tiefe bis 3 Zentimeter gut und versorge die Mikroorganismen im Boden zuverlässig mit Zucker. Doch wenn er sehe, wie Bauern schon fast in einem Wahn zehn Zentimeter tief fräsen und dem Boden damit grossen Schaden zufügen würden, dann könne er nur den Kopf schütteln.
Weg von schwarz-weiss
Tatsächlich fehle es regenerativ wirtschaftenden Einsteigern oft an Unterstützung, sagt Daniel Bärtschi. Der ehemalige Geschäftsführer von Bio Suisse gründete vor zwei Jahren den Verband Agricultura Regeneratio, in dem mittlerweile knapp hundert Landwirtschaftsbetriebe jeglicher Produktionsrichtung vertreten sind. «Unsere Bauern sind tatsächlich ein bisschen wie ein Lehrling ohne Lehrmeister.» Doch sein Verband biete den Mitgliedern ein Coaching an, das auch in schwierigen Stunden unterstützend mithelfe. Denn es sei klar, dass es bei der Umstellung viel Durchhaltewille von mehreren Jahren brauche. «Zwei Jahre wie bei Bio reichen nicht.» Und dass die Kurse aus Deutschland organisiert würden, habe auch damit zu tun, dass sich die offizielle Beratung in der Schweiz nicht um das Thema kümmere und weiterhin in Schwarz-Weiss-Denken verharre. Doch genau dies sei eben bei der regenerativen Landwirtschaft fehl am Platz. Es gibt kein hemmendes Korsett, wie beispielsweise bei Bio oder IP. Hier sei «vorwärts» scheitern normal. «Jeder muss für sich herausfinden, welche Methode auf seinem Betrieb am besten funktioniert.» Und natürlich sei es für Bauernbetriebe, die den Detailhandel beliefern schwieriger, weil sie die dort verlangten Standards kaum erreichen könnten. Der oft bemängelten Wissenschaftlichkeit der regenerativen Anbauprinzipien widerspricht er vehement: «Etliche Universitäten in den USA haben sich mit dem Thema beschäftigt.» Zudem gäbe es ja auch in der Schweiz genug positive Beispiele von Umsteigern. Mit der Jucker Farm in Seegräben und ihren weiteren vier Betrieben setze nun ein wirklich Grosser voll auf die regenerative Landwirtschaft.
Konservierend funktioniert
BFH-Professor Bernhard Streit sieht die Zukunft eher in der konservierenden Bodenbewirtschaftung, mit den Grundsätzen der minimalen Bodenbearbeitung, einer weiten Fruchtfolge und einem intensiven Zwischenfruchtanbau. Das sei soweit deckungsgleich mit den regenerativen Ansätzen. «Die Grenze ist für mich aber überschritten, wenn man behauptet, eine gut ernährte Pflanze ist alleine fähig, sämtlichen agronomischen Widerständen zu trotzen», findet er. Das sei zu einfach. Zudem fehle der Nachweis, dass mit Hilfe von EM oder Rottenlenkern in den Boden eingefräste Gründüngungen wirklich schnell verrotten und nicht viel eher zu einem ungünstigen C:N-Verhältnis führten. Im konservierenden Anbau könne man hingegen mittlerweile auf langjährige Erfahrungen zurückblicken. «Zahlreiche Landwirte, Lohnunternehmer und Berater sind seit Jahrzehnten erfolgreich damit unterwegs». Doch natürlich sei auch hier eine grundsätzliche Änderung im Denken nötig und die Umsetzung von einem Tag auf den anderen nicht machbar. Vielleicht auch deshalb hat der vor 25 Jahren gegründete Verein Swiss-No-Till nur rund 300 Mitglieder, die auf ihren Betrieb aus Überzeugung ohne Pflug arbeiten. Und für ihn ist klar, dass die Zeit nun reif sei, um dieses Knowhow besser unter die Leute zu bringen. Er schmunzelt: «Hier können wir viel von der regenerativen Bewegung lernen.»
Kommentare