Die Genfer Gemüseproduzenten sehen sich als Verlierer der regionalen Vermarktungsprogramme der Abnehmer in der Deutschschweiz. UMG-Chef Jacques Blondin bemängelt im Interview die sinkende Bereitschaft in der Branche zur betrieblichen Zusammenarbeit.
Interview: David Eppenberger
Trockenheit, extrem wüchsiges Frühlingswetter und dann noch die EHEC-Geschichte sorgten in den ersten sechs Monaten für schwierige Verhältnisse auf dem Gemüsemarkt. Wie haben Sie das Jahr bisher erlebt?
Jacques Blondin: In meinen 26 Jahren als Geschäftsführer der Union Maraîchère de Genève (UMG) habe ich so etwas noch nie gesehen. 2010 war ein Spitzenjahr für uns. In diesem Jahr ist es genau das Gegenteil. Schönes Wetter wie noch nie in ganz Europa von Januar bis April führte überall zu riesigen Gemüsemengen und die Preise waren bereits früh im Keller. Im Mai erholte sich der Markt bis die EHEC-Geschichte schliesslich für die ganz grosse Katastrophe sorgte.
Wie sind Sie in Genf mit der EHEC-Krise umgegangen?
Wir mussten bisher (Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde Anfang Juli geführt) über 300 000 Gurken vernichten. Als Genossenschaft fühlen wir uns natürlich den Produzenten verbunden. Deshalb haben wir ihnen alle marktfähigen Gurken abgenommen und intern eine Mischrechnung gemacht: Verkaufte Gurken geteilt durch die gesamte Menge, inklusiv vernichtete also. Sie erhielten etwa den halben Preis pro Gurke wie im Vorjahr. Wir Genfer litten aber sicher mehr als die anderen Gegenden in der Schweiz unter dem EHEC-bedingten Rückgang des Konsums in der deutschen Schweiz.
Weshalb?
Weil die UMG auch ausserhalb von Genf Gemüse verkauft. Und das ist bekanntlich gerade in der deutschen Schweiz schwieriger geworden, seit gewisse Grossverteiler die lokalen Lieferanten bevorzugen. Während der Krise reichten deren Mengen aus. Restmengen von aussen waren nicht mehr nötig und wir sind auf unserer Ware sitzen geblieben.
Der Frust der Westschweizer Gemüseproduzenten über diese «Regionalisierung» bei den Abnehmern in der Deutschen Schweiz ist überall spürbar.
Die Erzeugerorganisation UMG wurde vor 60 Jahren geschaffen, um die Kräfte zu bündeln und die Genfer Ware in der ganzen Schweiz zu verkaufen. Wir lieferten einst Bahnwagenweise Kopfsalate und Gurken nach Zürich. Dass Migros entschieden hat, mit speziellen Programmen noch «näher» zu den Produzenten zu kommen, hat für uns die Situation natürlich verkompliziert. Wer in den definierten Gebieten produziert hat Glück, der Rest sind die Verlierer.
Aber offenbar besteht bei der Kundschaft ein Trend nach mehr Regionalität. Wie würden Sie denn diesem Wunsch entsprechen?
Für mich ist die Schweiz eine Region. Ich hätte gerne ein Label basierend auf Suisse Garantie gesehen, ergänzt mit dem Kanton, wo das Gemüse produziert worden ist. Der Konsument in Genf beispielsweise könnte sich dann sagen, er möchte Schweizer Gemüse, wenn möglich aus Genfer Produktion. Gibt es nicht genug Genfer Ware, könnte er auf Fribourger oder falls nötig auch auf Zürcher Gemüse ausweichen. Alles wäre aber immer noch Suisse Garantie. Die aktuelle regionale Aufteilung ist sehr strikt. «Randgebiete» wie Wallis, Genf oder das Tessin haben zu wenige Verkaufsmöglichkeiten, weil Migros in ihren definierten Regionen die Produzenten von AdR («Aus der Region. Für die Region») begünstigt. Diese Verkaufspolitik hat zudem zur Folge, dass die Produzenten nur noch für sich arbeiten und der gesamtschweizerische Kontakt zwischen den Kollegen verloren geht. Deshalb wird es schwieriger, den Überblick über den Markt zu bewahren.
Eigentlich sollten die Gemüseproduzenten aber gerade jetzt bei diesen tiefen Preisen zusammenhalten?
Es kann nicht sein, dass jeder für sich in seiner Ecke eine kleine Fläche bewirtschaftet. Die Schweizer Produzenten müssten sich viel besser organisieren. Alle Schweizer Gurkenanbauer beispielsweise müssten enger zusammenarbeiten und sich besser absprechen damit die Branche insgesamt wettbewerbsfähiger wird und für die Zukunft gewappnet ist.
Die Harddiscounter haben in den letzten Jahren Bewegung in den Markt gebracht. Was haben sie bewirkt?
Früher war das Zeitungslesen am Sonntag noch Spass. Heute schaust Du nur noch mit bangem Blick auf die grossen Aldi- und Lidl-Inserate mit den Preisabschlägen. Am Montag kommt dann das Telefon des Abnehmers, der mich fragt, wie solche Preise möglich sind. Doch es ist bekannt, dass die beiden Harddiscounter manchmal mit Margen Nahe bei Null arbeiten. Das ist ihr gutes Recht. Doch eine Folge davon sind die Billiglinien bei Coop und Migros. Dass die Grossverteiler auch auf diesen Zug aufgesprungen sind bereitet mir Sorgen.
Letztlich ist jeder Gemüseproduzent sein eigener Unternehmer. Wenn für ihn der Preis stimmt und er den Abnehmer hat, verkauft er. So verhalten sich Marktteilnehmer. Ist es nicht utopisch, mehr Solidarität unter den Produzenten zu fordern?
Auf dem Papier wäre es erlaubt, dass sich die Produzenten gesamtschweizerisch organisieren und absprechen. Die Wettbewerbskommission würde das in der Landwirtschaft goutieren. Aber in der Praxis funktioniert das tatsächlich nicht.
Die Richtpreise des Verbandes gehen doch in diese Richtung?
Der Nutzen der entsprechenden VSGP-Telefonkonferenz von Dienstag ist gering. Viele machen die Preise doch schon am Montag für die nächste Woche. Oder die Produzenten sprechen sich kurz vor oder nach der eigentlichen Konferenz untereinander ab. Auch die Börsen sind mehr eine Alibi-Übung als dass sie tatsächlich Hilfe bieten würden bei der Festlegung der Preise. In der Westschweiz haben wir deshalb schon lange keine Börse mehr.
Auf dem Schweizer Gemüsemarkt besteht die Tendenz zu weniger dafür immer grösseren Betrieben. Ist das gut für die Branche?
Tatsächlich entwickeln sich ein paar wenige Produzenten extrem – auch teilweise dank den regionalen Vermarktungsprogrammen der Grossverteiler. Einzelne sind so gross, dass sie schon fast auf EU-Niveau sind. Mir wäre es lieber, wenn es mehr Produzenten geben würde, die enger zusammenarbeiten. Wenn es so weitergeht, wird es bald nur noch ein paar wenige Gemüse-Betriebe geben, die die Grossverteiler beliefern und allenfalls ein paar kleine Direktvermarkter. Es könnte dann aber eines Tages so weit kommen, dass plötzlich zu wenige Produzenten da sind. Zum Beispiel wenn ein grosser Produzent plötzlich aufgibt, was ja immer vorkommen kann.
Wie könnte man das verhindern?
Die Branche müsste sich sehr schnell gemeinsam für einen Weg entscheiden, wie sie in die Zukunft gehen möchte. Wenn wir morgen noch Produzenten haben wollen, müssen wir heute handeln. Die Strukturen müssen noch mehr angepasst werden, die Spezialisierung muss noch weiter fortschreiten. Wir haben aber schon jetzt das Problem, dass wir selbst in unserem geschlossenen Markt jedes Jahr mehr Gemüse produzieren. Die Folgen sind in schwierigen Jahren wie dem aktuellen deshalb umso schmerzhafter. Diese unkoordinierte Produktionserweiterung ist unter anderem die Folge davon, dass wir zu wenig miteinander sprechen. Wenn weiterhin jeder nur für sich schaut, befürchte ich, dass am Schluss alle die Verlierer sein werden.
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