Martin Lichtenhahn prägte den Schweizer Biogemüse-Anbau in den letzten Jahrzehnten. Er baute einst selbst Biogemüse an, arbeitete als Händler und lobbierte auf politischer Ebene. Er war aber vor allem als Berater tätig. Im Interview blickt er nun zurück.
Als die Partnerin von Martin Lichtenhahn vor über 40 Jahren eine Stelle im Seeland antrat, war ihm das gerade recht. Denn der diplomierte Agronom ETH interessierte sich sehr für Spezialkulturen – dabei war er von der Kulturvielfalt von Gemüse besonders angetan. Klar war für ihn dazu immer, dass er nach den Grundsätzen des biologischen Landbaus unterwegs sein wollte. «Weniger aus ideologischen Gründen, sondern weil es mich faszinierte, mit naturgegebenen Mitteln das Optimum aus einer Kultur herauszuholen», sagt er heute. Es folgte eine Art «Ochsentour» durch die Gemüsebranche: Er baute selbst Gemüse an, das er an die ersten Bioläden in Bern verkaufte und war Einkäufer und Verkäufer bei der Produzentenorganisation Bio-Gemüse AVG in Galmiz. Dort ging es dann in Richtung Beratung, wo er unter anderem erste Zertifizierungen mitaufbaute. Er weibelte im Auftrag der «Vereinigung Schweizerischer Biologischer Landbauorganisationen VSBLO» (heute Bio Suisse) in den Wandelhallen im Bundeshaus für die Anliegen des Biolandbaus. Schliesslich arbeitete er 18 Jahre am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), wo er die Entwicklung des Biogemüsebaus in der Schweiz und international mitprägte. Bei der Gründung der Sektion «Biogemüse Schweiz» des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) im Jahr 2016 hatte er ebenfalls die Finger im Spiel und amtete bis Anfang 2023 als nebenamtlicher Geschäftsführer. Zum Abschluss seiner beruflichen Karriere schloss sich der Kreis wiederum in Kerzers, wo ihn die TerraViva (vormals AVG Galmiz) als Berater «zurückholte». Seit diesem Jahr ist Martin Lichtenhahn (69) pensioniert.
Herr Lichtenhahn, mit welchen Problemen kämpften die Pionier-Biogemüsebaubetriebe vor 40 Jahren?
Martin Lichtenhahn: «Bio» war in der Gesellschaft noch kaum ein Thema, entsprechend fehlte es an Märkten. Bioproduzenten galten als realitätsferne Spinner. Es gab kaum grosse Abnehmer und es spielte sich ein Grossteil im kleineren Rahmen in der Direktvermarktung ab. Bei der AVG Galmiz verschickten wir aber immerhin schon damals wöchentlich bis zu 4000 Pakete mit frischem Gemüse in die ganze Schweiz. Dank der Freundschaft zwischen Biopionier Hans Müller und Migros-Gründer Duttweiler konnten wir vereinzelt in Migros-Filialen liefern, was dort allerdings meistens für wenig Begeisterung sorgte. Neben dem Markt fehlte es damals in der Produktion zudem an präziser Anbautechnik.
Was waren Meilensteine, die den Biogemüsebau schliesslich dorthin führte, wo er heute ist?
Der Eintritt von Coop mit Biogemüse als Leitprodukt im Naturaplan-Programm vor 30 Jahren war der «Game-Changer» schlechthin. Darauf folgte eine Umstellungswelle von vielen spezialisierten und professionelleren Gemüsebaubetrieben. Die Gründung der Fachkommission Biogemüse mit der damaligen VSBLO und dem Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) ein paar Jahre zuvor sorgte bereits für mehr Aufmerksamkeit und Präsenz des Biogemüsebaus in der Branche. Man gab erstmals ein Preisbulletin heraus und begann eigentlich erst dann auch über die Regionen heraus über Preise zu sprechen. Bei der Anbautechnik würde ich die Umstellung auf die Produktion von Jungpflanzen nach Biorichtlinien nennen. Für mich steht dieses Beispiel dafür, wie sich die Biogemüsebranche in all den Jahren immer gemeinsam mit der Produktion und Herstellern lösungsorientiert weiterentwickelte. Das gilt übrigens auch für die Forschung, die sich in den letzten Jahrzehnten im Biobereich etabliert hat. Die Zusammenarbeit mit innovativen und sehr motivierten Leuten in der Branche hat mich mein ganzes Berufsleben lang besonders fasziniert.
Was sind heute die grossen Herausforderungen der Biogemüse-Produktion?
Im Unterschied zu früher besteht heute ein Markt für Biogemüse. Allerdings ist dieser mittlerweile ähnlich umkämpft, wie im konventionellen Bereich. Der Preisdruck der grossen Abnehmer sorgt zunehmend für Existenzängste auf den Betrieben. Die Ausschreibungen von Migros beispielsweise bewirken eine permanente Preisspirale nach unten, welche wenig Perspektiven bietet. Damit untergraben die grossen Abnehmer schliesslich auch die in der Öffentlichkeit stark beworbenen eigenen Werte der Nachhaltigkeit und Ökologie. Allerdings muss sich die Produktion auch an der eigenen Nase nehmen und solidarischer miteinander umgehen. Dumpingangebote zur Gewinnung von Marktanteilen sind Gift für die Branche.
Aldi Suisse verlangt – im Unterschied zu Bio Suisse – von seinen Biogemüse-Lieferanten künftig den Verzicht auf Dünger aus Schlachtabfällen. Ist das nur konsequent oder ein Gezwänge?
Mich stört es grundsätzlich, wenn Abnehmer die Regeln bestimmen – das muss Sache der Bioproduzenten bleiben. Die Branche hat in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass sie Problemfelder erkennt und Lösungen selbst entwickelt. In diesem Fall von Aldi geht es zwar in die richtige Richtung, doch es müsste mehr um die Herkunft von tierischen Produkten für die Düngung gehen. Denn die Verwendung von beispielsweise Federmehl ist ja eigentlich aus Sicht der Nachhaltigkeit und vom Kreislaufdenken sinnvoll. Immer noch besser auf jeden Fall, als dieses Nebenprodukt ungenutzt in der Zementindustrie zu verbrennen.
Weil immer mehr Wirkstoffe ihre Zulassung verlieren, greifen konventionelle Betriebe beim Pflanzenschutz zunehmend auf biologische Methoden zurück. Ist das ein Problem für den Biogemüsebau?
Der Biolandbau ist schon immer in vielen Bereichen vorausgegangen. Dass die konventionelle Produktion nun mehr auf natürlichen Pflanzenschutz umschwenkt, ist deshalb auch ein Verdienst des Biolandbaus. Schlussendlich wird sich die gesamte Landwirtschaft in diese Richtung bewegen müssen. Auch wenn sich die Verbände und die Politik immer noch dagegen sträuben.
Trotzdem ist bei Bio nicht alles eitel Sonnenschein. Die mechanische Unkrautbekämpfung ist energieintensiv und teuer. Bei der Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen bleiben am Schluss immer noch oft nur Kupfer oder teure, wenig wirksame Alternativen.
Die mechanische Unkrautbekämpfung wird sich weiterentwickeln. Neue Technologien beispielsweise mit Laser oder umweltfreundlich betriebene, autonome kleine Maschinen werden verhindern, dass die Kosten weiter ansteigen. Herbizidfreier Anbau könnte sogar einmal Standard werden. Bei den Krankheiten geht es nicht ohne die Entwicklung von resistenten Sorten. Dabei werden neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas eine wichtige Rolle spielen. Hier hat die Bio-Szene ein Problem, weil sie sich gegenüber der konventionellen Konkurrenz differenzieren möchte. Für mich ist das allerdings etwas zu ideologisch gefärbt. Wenn sich der Biogemüsebau solchen Züchtungsinnovationen verschliesst, wird es schwierig werden. Denn für die weitere Ökologisierung der Landwirtschaft wird CRISPR/Cas entscheidend sein. Allerdings wachsen die Bäume auch damit nicht in den Himmel.
Wo steht der Schweizer Biogemüse-Anbau in zwanzig Jahren?
Es wird ihn sicher noch geben, auch wenn bestimmte Anbautechnologien nicht mehr exklusiv im Bioanbau angewendet werden. Der Biogemüse-Anbau wird sich wohl mengenmässig noch etwas weiter entwickeln. Ich denke aber nicht, dass er zum Standard werden wird. Trotzdem wird der Biolandbau weiterhin seine Pionierrolle behalten. Eine Frage ist für mich wie vorher bereits angedeutet, ob er wettbewerbsfähig bleibt, wenn er sich auf Technologien konzentriert – beispielsweise bei der Züchtung –, die nicht auf dem Top-Stand sind.
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