Kurt Möller ist überzeugt, dass die Verwendung von Gärgülle gegenüber Mist oder Kompost viele Vorteile bringt.
Weshalb ist die Düngung von Gemüse nur mit organischen Düngern besonders anspruchsvoll?
Viele Gemüsekulturen brauchen in kurzer Zeit eine sehr hohe Menge an Nährstoffen und können kurzfristig auftretende Mängel nicht mehr kompensieren, Mangel führt unwiederbringlich zu Ernte- und Qualitätseinbussen. Zudem haben die Kulturen unterschiedliche Bedürfnisse an die einzelnen Nährstoffe, die sich teilweise sehr stark von der Zusammensetzung unserer organischen Düngemittel unterscheidet. Man muss deshalb die passende Mischung an organischen Düngemitteln zur Kultur finden. Das macht es anspruchsvoller, zumal die Gehalte in solchen Düngern naturgemäss schwanken.
Welche organischen Dünger eignen sich in frühen Kulturen?
Wenn der Boden noch kühl ist, sind die Prozesse im Boden noch gar nicht so richtig in Gang gekommen. Es gibt nur eine kleine Auswahl an organischen Düngern, die bei solchen Bedingungen wirken, wie beispielsweise Gärgut oder Vinasse, einem Nebenprodukt der Zucker- und Backhefeherstellung. Andere organische Dünger, die zuerst stark umgesetzt werden müssen, sind für Frühkulturen weniger geeignet.
Sie gelten als Verfechter der Nutzung vor allem von flüssigem Gärgut. Weshalb?
Es gibt mehrere Gründe, pflanzenbauliche aber auch ökologische und ethische. Pflanzenbaulich weist die flüssige Form von Gärgut sehr ausgewogene Nährstoffverhältnisse auf, sie ist sehr Stickstoff-Kalium betont und ausgewogen im Verhältnis zu Phosphor. Diese Eigenschaft passt zu vielen Gemüsekulturen. Auch weil die Böden hier häufig mit Phosphor überversorgt sind. Der ganze Gärprozess findet zudem in einer kontrollierten Atmosphäre statt und nicht unkontrolliert im Boden mit vielen Nährstoffverlusten. Aber natürlich stellt die Nutzung grosse Ansprüche an die Technik. Das beginnt bei der eigentlichen Vergärung und endet beim Ausbringen der Gärgülle, die besondere Technologien verlangt.
Trotzdem ist die traditionelle Verwendung von Gülle, Mist oder Kompost bei vielen Gemüseproduzenten und Landwirten immer noch sehr beliebt. Was sagen Sie diesen?
Es handelt sich dabei um eine Technologie aus dem 19. Jahrhundert, die keine hohen Ansprüche an die Technikausstattung stellt und zudem relativ günstig ist. Zudem kann ich diesen Kompost relativ flexibel einsetzen im Jahresverlauf, der Handlungsspielraum ist gross. Aber bei der Herstellung von Mist oder Kompost entstehen erhebliche Klima-Emissionen und Nährstoffverluste und zudem verpufft die enthaltene Energie ungenutzt.
Was bedeuten die Nährstoffverluste?
Die Zusammensetzung des Düngers verändert sich. Gerade die für die Gemüsekulturen sehr wichtigen Nährstoffe Stickstoff und Kalium gehen teilweise verloren. Es bleibt der Phosphor und von dem hat es ja schon mehr als genug im Boden. Die Mineralisierung der verbleibenden Stickstoffverbindungen lässt sich schlecht vorhersagen und ist sehr stark von kurzfristig eintretenden Umweltbedingungen abhängig.
Vor allem im biologischen Landbau gilt immer noch der Grundsatz, dass in erster Linie der Boden ernährt werden müsse. Ist dieser Gedanke überholt?
Die theoretischen Grundlagen des Biolandbaus sind über 100 Jahre alt und wurden seither nicht wesentlich überarbeitet. Doch diese müssten aktualisiert und an die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens angepasst werden. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass dieser indirekte Ansatz gerade bei Stickstoff eher ineffizient ist, und Stickstoff teilweise dann mineralisiert, wenn kein Pflanzenbedarf besteht. Heute meinen wir auch z.B. zu wissen, dass die Humusbildung bei Gärresten und Kompost etwa gleich ist. Wir können davon ausgehen, dass sich die Effekte auf das Bodenleben bei beiden nicht gross unterscheiden. Aber bei Gärresten kann die Pflanze schneller über die Nährstoffe verfügen.
Einige Landwirte reagieren an ihren Referaten gereizt auf ihre Ausführungen. Wie gehen Sie damit um?
Ich möchte die Leute eigentlich nur zum Nachdenken anregen und auf Probleme der jetzigen Bewirtschaftung hinweisen. Natürlich ist es schwierig, von Gewohntem Abschied zu nehmen. Ich schliesse nie aus, dass es noch bessere Lösungen gibt. Ich denke aber schon, dass viele zu stark einseitig nur auf den Stickstoff oder die Humuswirkung achten und dabei übersehen, dass in Kompost oder Mist eine ganze Palette von weiteren Nährstoffen zugeführt werden, die ebenfalls in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen. Hier muss ein Bewusstseinswandel verbunden mit einer Weiterentwicklung der Anbausysteme stattfinden. Das ist doch die Herausforderung, offen zu bleiben, immerzu zu lernen und etwas zu verbessern.
Aus hygienischen Gründen wird auch bei Gärgülle eine Wartefrist von mindestens 100 Tagen gefordert, oft noch mehr. Wird hier die schnelle Nährstoffverfügbarkeit nicht zum Hindernis?
Bei empfindlichen Kulturen wie Gemüse sollte nur Material von thermophilen Anlagen mit Vergärtemperaturen von 50 bis 55 °C verwendet werden. Dann sind sie hygienisch weitgehend unbedenklich. Und natürlich spielt es eine Rolle, ob das Gemüse frisch verzehrt oder gekocht wird. Bei Frühkulturen ist der Einsatz von Gärgülle aber auch von Kompost oder Mist kein Problem, weil sie oft mehr als vier Monate im Boden sind. Zudem könnte man die Gärgülle auch in Schlitzen direkt im Boden einbringen, um das hygienische Risiko zu vermindern. Oder man düngt vor der Pflanzung mit Gärresten und ergänzt später mit einem Handelsdünger.
Wäre das auch im konventionellen Gemüseanbau möglich?
Hier wäre es sogar noch einfacher. Man könnte die Grunddüngung mit Gärgülle oder -substraten am Phosphorbedarf ausrichten und dann eine mineralische Ergänzungsdüngung während der Vegetationsphase vornehmen. Das wäre vor allem gut für Böden mit einem hohen Gehalt an pflanzenverfügbarem Phosphor.
Wie sieht es mit dem Einsatz von organischen Düngern in Gewächshäusern aus?
Im Gewächshaus haben wir den doppelten bis vierfachen Nährstoff-Input und Output als bei Freilandkulturen. Der Phosphorüberschuss ist hier besonders herausfordernd. Eine Möglichkeit wäre es, die Düngung mit den phosphorarmen Gärresten sozusagen unterirdisch zu machen, damit man keine Hygieneprobleme hat. Bei Kompost haben wir zu viel Phosphor und zu wenig Stickstoff. Ergänzen wir diese, stehen nur wenige phosphorarme Alternativen zur Verfügung: Horndünger, Federmehle, Wolle oder Vinasse. Allerdings besteht dann das Risiko eines Schwefelüberschusses.
Aber gerade Federmehl ist relativ teuer und auch ethisch problematisch.
Beispielsweise in Kohlgewächsen ist Federmehl tatsächlich ein ausgezeichnetes Ergänzungsdüngungsmittel. Doch gerade für den Biolandbau ist es natürlich ein Problem, dass die Federn aus sehr intensiven konventionellen Hühnerbetrieben im Ausland stammen. Aus Schweizer Herkunft wäre das Material aber noch viel teurer.
Kurt Möller
Studium der Agrarwissenschaften und Promotion an der Technischen Universität München, Post doc an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Aktuell Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Düngung und Bodenstoffhaushalt der Universität Hohenheim. Autor der Studie des Kuratoriums für Technik und Bauwesen (KTBL) zur Eignung und Verwendung von organischen Handelsdüngemitteln im ökologischen Landbau.
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