Früher versorgten Eringerkühe die Bergbevölkerung mit Milch und Fleisch. Im Wallis werden sie heute in erster Linie für die traditionellen Kuhkämpfe gehalten. Auf dem Rosegghof in Solothurn setzt man aber auf die Ursprünglichkeit des typischen Zweinutzungsrindes.
Wenn der Tiertransporter auf dem Rosegghof am Stadtrand von Solothurn auffährt, weiss Eringerkuh Akalei, was das bedeutet: Ferien im Tessin! Erinnerungen werden wach an die Vorjahre, an reine Bergluft und würzige Kräuter auf der Alpe Sponda, die sie dort mit ihrer Mutterkuhherde und den Kälbern an den steilen Hängen findet. Das Klettern trägt die Eringer-Herde aus dem Mittelland in ihren Genen, denn ihre Vorfahren kommen aus den Berggebieten, vornehmlich aus dem Wallis. Dort sind sie heute vor allem bekannt für die Kuhkämpfe und fast mehr Statussymbol als Bauernhoftier. Die Rosegghof-Eringerkühe sind das aber noch. Wanderer auf der Alpe Sponda müssen zuweilen genau hinsehen, um zu erkennen, ob da oben am Felsen gerade eine dicke Gämse oder eine Eringerkuh herumklettert. Die Eringerrasse mit ihrer kleinen Statur ist nämlich bestens geeignet für den Einsatz in Berggebieten. Doch noch ist es nicht soweit. Nach dem trüben und langen Winter im tierfreundlichen, offenen Laufstall mit Auslauf verbringt Akalei mit ihren anderen Kühen die ersten paar Wochen zuerst auf den saftigen Frühlingsweiden rund um den Rosegghof.
Etwas anderes als Limousin
Über hundert Bewerbungen gingen damals ein, als es um die Übernahme des Rosegghofes ging, der bereits seit 1984 biologisch bewirtschaftet wird. Martin und Ursula Riggenbach erhielten den Zuschlag. Das war vor 20 Jahren. Für beide war klar, dass sie Tiere brauchten, die genug Mist und Gülle als Dünger für die Äcker und Felder lieferten. Als überzeugte Biobauern wollten sie mit möglichst geschlossenen Nährstoffkreisläufen arbeiten. Doch eine Nullachtfünfzehn-Mutterkuhherde kam für sie nicht in Frage. Irgendeinmal kamen sie auf die Idee mit den Eringerkühen. «Wir wollten einfach etwas Anderes als Angus oder Limousin», sagt Ursula Riggenbach. Die Eringerrasse mit ihrer schmalen Postur, ihrer Genügsamkeit, dem zarten Fleisch aber auch mit der ausreichenden Milchproduktion für die Kälberaufzucht passte in ihr Konzept. Zudem gefiel ihnen, dass die Eringerrasse nicht auf bestimmte Eigenschaften hochgezüchtet wurde und ihre Urtümlichkeit bewahrt hat. Sohn Christian teilt diese Begeisterung mit seinen Eltern. Er macht zurzeit die Betriebsleiterausbildung und soll den Rosegghof später übernehmen.
Ausserhalb des Eringer-Hoheitsgebietes
Das eigentliche Land der Eringer ist immer noch das Wallis. «Es war gar nicht so einfach, als Unterländer Tiere von dort zu erhalten», sagt Martin Riggenbach. Im Wallis zählen die Eringer zum kantonalen Kulturgut. Doch die Riggenbachs blieben standhaft. Vor einigen Jahren nahmen sie mit einer Kuh sogar an einem Wettkampf teil und belegten den beachtlichen zweiten Rang. Er zwinkert mit den Augen: «Die Siegerin kam übrigens nicht aus dem Wallis!» An Kämpfe gehen sie heute nicht mehr. Trotzdem gibt es natürlich auch in ihrer Herde eine Königin. Ihren Namen kennen wir schon: Akalei. Auch sie hat sich ihren Status einst bei einem Kampf erstritten. «Dieser Trieb ist bei den Eringern angeboren», erklärt Ursula Riggenbach. Sobald der Kampf entschieden sei, werde das Leittier von den anderen Kühen als solche akzeptiert. Im Frühling gebe es jeweils nur kurze Kämpfe in der Herde, um die Kräfteverhältnisse neu abzuchecken. Der Status der «Königin» und die Hierarchie in der Herde blieben aber in der Regel über Jahre unangetastet. Wenn viele Leute bei Eringerkühen zuerst an aggressiv geführte Kuhkämpfe denken, dann entspricht das also nicht der eigentlichen Eigenschaft, eher im Gegenteil. «Die Kühe sind sehr ruhig und angenehm in der Haltung», sagt Martin Riggenbach.
Die Wanderer auf der Alpe Sponda müssen sich nicht mehr vor den Tieren fürchten als bei «normalen» Mutterkuhherden. Und der Stier bleibt sowieso zu Hause in Solothurn. Wanderer müssten einfach genug Abstand zu den Tieren einhalten, dann passiere nichts. A propos Alpe Sponda: Diese werde erst seit ein paar Jahren wieder alpwirtschaftlich genutzt, vorher drohte die Verwaldung. «Unsere Kühe leisten dort nun einen Beitrag zur Erhaltung der wertvollen Kulturlandschaft», sagt Martin Riggenbach.
Regionaler Schlachthof
Und natürlich tragen die Tessiner Bergkräuter zusätzlich zur guten Fleischqualität bei. Und um diese geht es schlussendlich auch auf dem Rosegghof, wo es als original «Bio Eringer Beef vom Rosegghof» über den Hofladentisch geht. Die Konsistenz des Fleisches bezeichnet Ursula Riggenbach als eher mager mit wenig Fettanteil. «Eringer haben zwar nicht so viel <Füdli> wie Limousin dafür ist der prozentuale Fleischanteil höher.» Dank der Verarbeitung in der vertrauten Metzgerei, könnten sie sicher sein, dass sie ihr Fleisch wieder zurückerhielten, sagt Ursula Riggenbach. Das Eringer-Fleisch wird tiefgefroren und frisch in Riggenbachs renvoierten Hofladen verkauft. Zudem bietet die Bauernfamilie Trockenfleisch und Würste an, die gemäss Richtlinien von Bio Suisse verarbeitet wurden und entsprechend Biogewürze und keine zusätzlichen Aroma- und Farbstoffe enthalten.
Zum Angebot des Rosegghofs gehören auch ganze Mischpakete mit allerlei Fleischstücken von Siedfleisch, Entrecôte. Allerdings spüre man hier die Stadtnähe. Grosse Mischpakete würden auf dem Land lieber gekauft als in der Stadt.
Wenn die Tiere ihre letzte Reise in den nur zehn Minuten entfernten regionalen Schlachthof Scholl Fleisch & Feinkost AG nach Selzach antreten, hätten die Tiere in ihrem mindestens zweijährigen Leben nur Rauhfutter und kein Kraftfutter aus Übersee erhalten und dazu viel Tessiner Sonne genossen, sagt Martin Riggenbach «Das ist doch gar nicht so übel für ein Rind in der heutigen Zeit?»
www.rosegghof.ch
Eringerkühe vor allem für die Arena
Seinen Ursprung hat die Eringerrasse in den Alpengebieten, wohin sie die vermutlich die Römer einst brachten. Ein Rassestandard wurde aber erst im 19. Jahrhundert festgelegt. Die kleinen, sehr muskulösen Tiere eigneten sich bestens für die extremen Bedingungen in Berggebieten und lieferten der Bevölkerung als typische Zweinutzungsrasse Fleisch und Milch. Ein bekanntes traditionelles Produkt ist unter anderem das Walliser Trockenfleisch. Ab den 1960er-Jahren verlor die Rasse aber ihre wirtschaftliche Bedeutung, weil die Schweizer Agrarpolitik sich mehr auf die Entwicklung von Hochertragsrassen konzentrierte. Der Eringerkuh-Bestand reduzierte sich entsprechend auf knapp 12000 Tiere im Jahr 1983. Seither hat sich die Anzahl leicht erhöht und hält sich bei schätzungsweise 13500 Tieren, auch weil die traditionellen Eringer-Kuhkämpfe im Wallis mittlerweile zum touristischen Magnet geworden sind. Die Kämpfe ziehen jeweils Tausende von Zuschauern in die Arenen. Die meisten Eringer-Kühe leben immer noch im Wallis, allerdings mehrheitlich in kleinen Gruppen von zwei bis vier Tieren, die vor allem als Prestige-Objekte für die Kuhkämpfe gehalten werden. Der Anteil von Herden mit mehr als 15 Tieren liegt im tiefen einstelligen Prozentbereich. Die Fleisch- und Milchproduktion mit Eringertieren bewegt sich in einer klassischen Nische, weil sie die strikten Anforderungen nach möglichst gleichförmigen, uniformen Tieren der grossen, industriellen Schlachthöfe kaum erfüllt.
Der Rosegghof
Seit fünf Jahren gehören auch Gebäude und Land des benachbarten «Königshofs» zum Rosegghof. Die Familie Riggenbach trägt wie alle Bio-Knospen-Betriebe einiges zum Erhalt der natürlichen Vielfalt und zum Erhalt von wertvollem Erbgut bei: Rund 40 Hochstammbäume mit Pro Specie Rara-Obstsorten säumen den Weg zum Hof. Stein- und Asthaufen an den Feldrändern um den Hof bieten nützlichen Insekten und Kleinsäugern einen Lebensraum. Das Futter für die Tiere wird auf dem Betrieb produziert, damit die Kreisläufe möglichst geschlossen bleiben. Den Sommer verbringen die Mutterkühe mit den Kälbern auf der Alpe Sponda im Tessin. Neben einem Pensionsstall für Pferde mit Reitschule, verköstigen die Riggenbachs auch Gruppen und Gesellschaften in der neuen Gaststube im alten Bauernhaus. www.rosegghof.ch
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