Der Gewächshausexperte Rudolf Schlatter glaubt, dass Gewächshäuser künftig mit mehreren verschiedenen Energieträgern beheizt werden. Doch die Umstellung ist teuer und benötigt Zeit.
Migros hat angekündigt, ab 2025 nur noch Gemüse aus mit erneuerbaren Energien beheizten Gewächshäusern zu verkaufen. Was halten Sie von diesem Plan?
Rudolf Schlatter: Das Migros-Projekt ist eher ein Hüftschuss, kein Plan. Es wäre sinnvoller gewesen, Teilziele zu bestimmen und nicht einfach eine Jahreszahl als Endziel zu setzen. Der Anteil des Gasverbrauchs des Gemüseanbaus in der Schweiz ist klein, der CO2-Einspareffekt des Migros-Projekts ist entsprechend gering. Wenn man Null CO2-Ausstoss erreichen will, sollte man Schritt für Schritt dort ansetzen, wo es am meisten bringt, beispielsweise beim Erdöl. Dieses zu verbrennen ist unsinnig, da es uns künftig noch als wertvoller Rohstoff für Kunststoffe, Farben oder Medikamente zur Verfügung stehen muss. Erdgas hingegen kann man ja nur verbrennen.
Migros rechnet mit einer Einsparung von 75 000 Tonnen CO2. Ist das realistisch?
Ich glaube nicht, dass diese Zahl stimmt. Wenn ich ein 6 Hektaren grosses Gewächshaus mit Holzschnitzel beheize, müssen während der Heizperiode pro Woche etwa 15 Lastwagen Holz anliefern. Die graue Energie ist hier sicher nicht einberechnet, auch die für die Aufbereitung des Holzes nicht. In den Überlegungen fehlt zudem das CO2, das irgendwie in die Gewächshäuser eingebracht werden muss. Sinnvoller wäre es, Schnitzelheizungen nur für die kontinuierliche Grundlast in den kalten Zeiten zu verwenden und die Spitzen mit Gas abzudecken. Wenn Gas aber als Heizquelle ganz wegfällt, steht kein CO2 mehr zur Düngung der Kulturen zur Verfügung.
Könnte dieses nicht einfach durch technisches CO2 ersetzt werden?
Sehen Sie, ich war vor Jahren bei einem grossen Fernwärme-Projekt mit einer Kehrichtverbrennungsanlage und 12 Hektaren Gemüsegewächshäuser im Kanton Thurgau involviert. Das Projekt ist letztlich vor allem an den hohen Kosten für technisches CO2 gescheitert.
Trotzdem: Migros rät den Gemüseproduzenten zu einem Energiemix aus alternativen Energietechnologien wie Wärmepumpen, Holzheizungen, Biogas, Geothermie oder Solarenergie.
Ich bin Fan von einem Energiemix. Man sollte sich – wenn möglich – nicht auf nur einen Energieträger verlassen. Ein Musterbeispiel ist für mich die Gärtnersiedlung Rain am Lech im süddeutschen Raum. Dort haben sich sieben Gartenbaubetriebe mit einer Gewächshausfläche von 32 Hektaren zusammengeschlossen. Eine Hackschnitzelheizung liefert die Grundlast. Zwei Biogasanlagen versorgen vier Blockheizkraftwerke zur bedarfsgerechten Wärmeproduktion. Drei Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen erzeugen Strom und Wärme. Photovoltaik versorgt die Gartenbaubetriebe am Tag mit Strom. Dazu kommen sieben Pufferspeicher für Heisswasser in allen Betrieben. Mit dieser Diversifizierung ist die Versorgung der Gewächshäuser mit erneuerbarer Wärme gesichert. Allerdings muss man wissen, dass in Gartenbaubetrieben die CO2-Begasung nicht relevant ist.
Schon ohne die CO2-Begasung hört sich das nach hohen Investitionskosten an. Wie soll ein kleiner Betrieb das stemmen?
Die Grösse ist nicht unbedingt entscheidend, eine Gemüsebaubetrieb kann sich ja auch mit anderen Anbietern von alternativen Energien zusammenschliessen, beispielsweise in dem er Fernwärme von einem Holzverarbeitungsbetrieb oder von einer Kehrichtverbrennungsanlage nutzt. Ein Speicher zur Überbrückung von Lieferengpässen ist aber empfehlenswert. In Regionen wie dem Seeland wäre natürlich eine gemeinsame Nutzung von verschiedenen Energieträgern schon möglich. Für kleinere Betriebe ohne Gemüsebaubetriebe oder Industrie in der Nähe sind Schnitzelheizungen meines Erachtens eine gute Lösung.
Die holländische Gemüseproduktion gilt als führend bei der Verwendung von alternativen Energien, wie beispielsweise Luft-Grundwasser-Wärmepumpen oder die Geothermie.
Wir sind hier aber in der Schweiz. In Holland ist der Grundwasserspiegel viel weniger tief, zudem hat es dort riesige Grundwasserseen, die als Speicher genutzt werden können. In unserem Untergrund kommt und geht das Wasser. Ohne finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, um die nötigen tiefen Bohrungen zu finanzieren, ist Geothermie für den Schweizer Gewächshausanbau nur in Ausnahmefällen realistisch. Hier bietet sich eher die Nutzung der Wärme aus den oberen Bodenschichten oder aus dem Grundwasser mittels Wärmepumpe an.
Migros schreibt, dass sie die Branche für den Wechsel zu regenerativen Heiztechnologien mit jährlich einer Million Franken unterstützen wollen. Reicht das?
Nein, das ist zu wenig, wenn das Ziel in fünf Jahren erreicht werden soll. Der Bau einer Hektare Gewächshaus mit allen verlangten technischen Anforderungen kostet heute 1,5 Millionen Franken. Da sehen sie, von welchen Dimensionen wir sprechen. Wenn einer gerade neu gebaut hat mit Gasheizung und diese nun schon in wenigen Jahren ersetzen muss, dann ist das schon happig. Obwohl die vorgegebene Richtung in mehr Mix und Unabhängigkeit bei der Energie nicht falsch ist, ist die Umstellung sehr teuer. Sie sollte deshalb in längeren Schritten erfolgen.
Welche Möglichkeiten zu einer nachhaltigeren Produktion in Gewächshäusern bieten sich neben der Auswahl des Energieträgers?
Das Wichtigste ist die Energieeffizienz. Es geht in Richtung mehr Lichtausbeute und möglichst gute Isolation. Zudem wird die Klimaführung immer wichtiger, die sich zu eigentlichen Wachstumscomputern entwickeln. Und natürlich spielt die Entfeuchtung eine Schlüsselrolle.
Wie könnte eine «nachhaltige» Gewächshausproduktion im Jahr 2040 aussehen?
Die Forschung läuft auf energieautarke Gewächshäuser hinaus, das ist in 40 Jahren die Realität. Doch wenn ich ökologisch Gemüse produzieren möchte, dann muss ich auf Saisongemüse gehen. Wir hatten ja eigentlich jahrelang eine gute Strategie in der Schweiz mit der Produktion von Nüsslisalat im Winter sowie von Gurken und Tomaten im Sommer. Es musste nur in der Übergangsphase geheizt werden. Das war eine gute Sache!
Dann gäbe es keine Schweizer Tomaten mehr ab April.
Ja. Aber, um bei Migros zu bleiben: Ihr Projekt passt nicht in das von ihr selbst lancierte Nachhaltigkeitsprogramm «Generation M», das eine klimafreundliche Produktion propagiert. In der Konsequenz würde das auch für Migros heissen, im Winter keine Tomaten anzubieten, selbst wenn ein spanischer Betrieb eine nachhaltige Produktion vielleicht irgendwie hinkriegen würde. Denn für diese müssten ja die gleichen Anforderungen gelten. Transportiert müssten die Tomaten aber ja immer noch werden. Das Problem ist der Kunde: Der kommt nicht in den Laden, wenn er im Februar keine Bananen, Orangen oder eben Tomaten und Gurken findet.
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