Dank intelligenter Software sollen die Effizienz und die Qualität von Bauten gesteigert werden. Die Schweizer Bauwirtschaft tut sich noch schwer mit der Digitalisierung. Entziehen kann sie sich der Entwicklung aber nicht.
Wer ein Haus baut, braucht Nerven aus Stahl. Es beginnt mit dem Papierkrieg bei den Baubehörden. Ist der Aushub dann einmal gemacht, halten Handwerker Termine nicht ein, Kosten werden überschritten und in der ganzen Hektik entstehen auch noch Baufehler. Aber es gibt Licht am Horizont: Denn auch die Baubranche kann sich der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens nicht entziehen. «Wer hier den Kopf in den Sand steckt, hat verloren», sagt Paul Curschellas von buildup AG. Das Unternehmen ist ein Spin-off der ETH Zürich, in Zusammenarbeit mit der Schweizer Bauwirtschaft. Paul Curschellas ist überzeugt, dass in der Schweiz die Bauten schon bald zuerst mit intelligenter 3D-Software virtuell erstellt werden, bevor die Bagger auffahren. Ist von der Digitalisierung des Bauens die Rede, steht oft der Fachbegriff BIM (Building Information Modeling) im Raum. Bei BIM sind im Idealfall alle Teile des Gebäudes im elektronischen Modell mit Informationen versehen, vom Dach über die Wand bis zur Elektroinstallation. Bei jedem Fenster und bei jeder Türe sind im Modell Parameter wie Wärmedurchgangskoeffizient oder Preis hinterlegt. So können bereits vor dem Bau optimale Lösungen gefunden werden. Mit der Modellierung kann die Statik oder das Heizungssystem getestet werden, überdimensionierte Heizungen soll es künftig also nicht mehr geben. Beim idealen BIM haben alle Beteiligten Zugriff zur Plattform mit dem elektronischen Gesamt- oder Teilmodell und können über Schnittstellen Änderungen anbringen. Bei Projektänderungen sieht der Bauherr sofort die Kostenfolgen, die Planung wird entsprechend frühzeitig angepasst. Folgefehler und Leerläufe sollen mit BIM vermieden werden: Maler werden künftig nicht mehr vor unverputzten Wänden stehen. Paul Curschellas ist überzeugt: «Die bevorstehende Effizienzsteigerung in der Baubranche wird unausweichlich über die Digitalisierung ablaufen.»
Baubranche noch im Dämmerzustand
Doch, wie digital ist die Schweizer Baubranche heute? Bei den Gipsern und Malern vor Ort auf den Baustellen sei BIM noch kaum ein Thema, sagt Peter Seehafer vom Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV). Doch der Verband beschäftigt sich mit der digitalen Zukunft und ist seit kurzem Mitglied bei der nationalen Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz». «Wir wollen auf dem Zug mitfahren und nicht von diesem überrollt werden», sagt Peter Seehafer. Zurzeit entwickelt sein Verband für die Mitglieder ein wissensbasiertes Ausschreibungssystem, das mit seiner Ausrichtung auf funktionale Einheiten und Anforderungen bereits ein bisschen in Richtung BIM geht. Noch nicht ganz angekommen ist das Thema beim Schweizerischen Baumeisterverband (SBV). Workflow-Optimierungen seien in der Branche bereits umgesetzt, sagt Vizedirektor Martin A. Senn. Er sehe das Potenzial von BIM zurzeit nicht. Zumindest die grösseren Mitglieder seines Verbandes sind allerdings längstens im BIM-Zeitalter angekommen. Implenia hat kürzlich eine Ausschreibung der Deutschen Bahn für den Bau des Albvorlandtunnels gewonnen. Die Nutzung von BIM sei dabei ein Pflichtkriterium gewesen, sagt Reto Aregger von Implenia. Die international tätige Unternehmung profitiere davon, dass sie in Projekten in Schweden und Norwegen beteiligt sei. Diese Länder schreiben BIM bei öffentlich finanzierten Bauvorhaben bereits seit 2008 vor. «In der Schweiz profitiert Implenia von diesem Knowledge-Transfer», sagt Reto Aregger. Das Thema habe bei Implenia eine hohe strategische Relevanz. Die Gruppe baut aktuell eine Abteilung mit einem eigenen «Head of BIM» auf. Auch andere grössere Bauunternehmen planen BIMAbteilungen.
Mehr als ein Hype
Etwas anders sieht es in den vielen kleinen und mittleren Betrieben in der Branche aus. Diese laufen seit Jahren am Limit und haben kaum Zeit, sich mit einem vermeintlich so abgehobenen Thema zu beschäftigen. Das bestätigt auch Jost Estermann, Verwaltungsratspräsident beim mittelgrossen Zentralschweizer Bauunternehmen Estermann AG: «Bei uns ist BIM noch kein Thema!» Bei der Branchenorganisation der im Infrastrukturbau tätigen Unternehmen Infra Suisse beschäftigt sich Dejan Lukic intensiv mit dem Thema. Er stelle zurzeit tatsächlich fest, dass das Interesse an BIM in der Branche noch gering sei. «Allerdings sind viele, ohne es zu wissen, bereits ein Bestandteil davon, beispielsweise wenn sie mit Planer-Software konstruieren oder auf einer gemeinsamen Plattform arbeiten.» Es gehe jetzt eigentlich vor allem darum, einen Standard zu entwickeln, der die Austauschbarkeit der vielen Daten ermögliche. Lukic warnt davor, dass zu viele unterschiedliche Standards festgelegt werden und alles zu kompliziert werde. Andere in der Branche sprechen sogar von einem «Hype», vergleichbar mit den Diskussionen um das Internet in den Nullerjahren. Doch ein Jahrzehnt später ist gerade beim Internet vieles Wirklichkeit geworden, für das die Zeit damals noch nicht reif war. Vorarbeiter mit iPads, die permanent online sind, trifft man heute schon auf Baustellen an. Das mobile Telefon sowieso. Es ist praktisch, wenn man dem Kollegen schnell ein Bild von einer Installation schicken kann. Die Digitalisierung ist in der Bauwirtschaft eigentlich längstens im Gang. Planer beispielsweise arbeiten seit Jahrzehnten mit 2D-Software. Vor allem kleinere Architekturbüros wehren sich aber zurzeit noch vehement gegen die Einführung von BIM, zu dem sie vor allem die Softwarebetreiber auffordern. Doch schon beim Aufkommen der 2D-Software zeichneten einige Architekten aus Trotz noch von Hand weiter. Heute macht das niemand mehr, weil dafür im Markt kein Platz ist. Mit BIM werde das ähnlich ablaufen, sind sich die Experten einig. Jugendliche machen es vor Paul Curschellas von buildup AG ist überzeugt, dass sich die Baubranche bei der Digitalisierung in einer Übergangsphase befindet. Die technologischen Neuerungen beschleunigten den ökonomischen Druck laufend. Die Transformation sei voll im Gang. Obwohl es in der Baubranche noch oft anders töne, sei sie in Wirklichkeit sehr agil und werde in drei bis fünf Jahren im BIM-Zeitalter angekommen sein. Sogar schneller als beispielsweise die Bankenbranche, weil sie stärker im nationalen und internationalen Wettbewerb stehe und dynamischer sei. In bestimmten Ländern sei man schon deutlich weiter bei der Digitalisierung als in der Schweiz. «Immer mehr Bauherren werden BIM verlangen, weil es ihnen einen Nutzen bringt», sagt Paul Curschellas. Letztlich sei es eine Frage der Offenheit der Marktteilnehmer gegenüber Neuem. Die Technologie und die Software seien bereits vorhanden, genauso wie die Fachkompetenz im Bauen. Die Leute müssten nun vor allem lernen, kooperativ an einem Projekt zusammenzuarbeiten und aufeinander zuzugehen. Vielleicht helfe hier auch ein Blick auf den Computer unserer Kinder, sagt Paul Curschellas. Wenn Jugendliche spielerisch auf ihren Tablets virtuelle Räume, Villen und ganze Landschaften gemeinsam bauen, werde eigentlich klar, dass BIM bereits Realität sei.
Bauen digital Schweiz
In der Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz» sind über 100 Firmen und rund 30 Institutionen der gesamten Wertschöpfungskette «Bestellung, Planung, Zulieferung, Bau, Betrieb und Technologie» vereinigt. Ziel ist es, die Schweizer Bauwirtschaft bei der Umstellung hin zur Digitalisierung zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Interessensgemeinschaft hat sechs Thesen zu den grundlegenden Veränderungen in der Wertschöpfungskette entwickelt, die bearbeitet werden sollen: veränderte Prozesse, neue Zusammenarbeitskultur, Rolle der Bauindustrie, revolutionäre Arbeitshilfsmittel, veränderte Rechte und Pflichten sowie neue Geschäftsmodelle.
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