In den meisten Fällen werden bei den Legehuhnrassen die männlichen Küken getötet. Von Interesse sind nur ihre später einmal eierlegenden Schwestern. Dank einem Projekt dürfen die Bruderhähne nun aber weiterleben.
Glück gehabt kann man da nur sagen: Denn im «normalen» Hühnerleben sollte es diese Hähne hier auf dem Biobauernhof von Peter und Marianne Ball in Brütten ZH eigentlich gar nicht geben. Weshalb gackern sie nun doch zufrieden um den Stall herum? Weil sie Teil des Projektes «henne & hahn» sind. Es ist eine Antwort auf die heutige auf einseitige Leistung geprägte Art der modernen Eier- und Pouletproduktion. Selbst für Biobetriebe ist es nämlich schwierig, sich dem Diktat der global stark konzentrierten Hühner-Branche zu entziehen. Vier Konzerne teilen sich den Markt weltweit auf und stellen das entsprechende Zuchtmaterial zur Verfügung, das auch in den Schweizer Hühnerställen verwendet wird. Diese Hühner legen entweder 300 Eier im Jahr oder entwickeln in kurzer Zeit viel Fleisch. Aber leider nicht Beides gleichzeitig. Bei den auf Eierleistung gezüchteten Tieren sind die Hähne deshalb fehl am Platz, weil sie logischerweise keine Eier legen und dazu zu wenig Fleisch ansetzen, um wettbewerbsfähig zu sein. Was mit den männlichen Küken dann passiert, ist unschön und in den letzten Jahren von den Medien immer wieder aufgegriffen worden: Sie werden kurz nach dem Ausschlüpfen getötet und enden als Tierfutter oder als Kadaver in der Biogasanlage.
Fragen aus dem Volk
Auch im 2000-Seelen-Dorf Brütten haben die Leute offenbar vom Küken-Drama Wind bekommen. Als Peter und Marianne Ball vor zwei Jahren ihren neuen von Bio Suisse zertifizierten Hühnerstall mit 2000 Legehennen mit einem Eröffnungsfest in Betrieb nahmen, hätten
viele gefragt, was denn nun mit den Männchen-Küken passiere, sagt Peter Ball. «Da wurde uns erst so richtig klar, dass wir keine plausible Antwort hatten.» Den Ausweg hielt ihm glücklicherweise Roman Clavadetscher bereit. Dieser zieht in Malans auf dem eigenen Betrieb selbst Biopoulets auf, sitzt im Verwaltungsrat der grössten Schweizer Bioeierhandelsfirma Hosberg AG und ist dazu noch seit 13 Jahren Geschäftsführer einer Biobrüterei in der Zentralschweiz. Dort war er von Beginn weg direkt konfrontiert mit dem Eier-Hähnchen-Dilemma und suchte jahrelang nach einer praktikablen Lösung. Die seit langem angekündigte Geschlechtsbestimmung bereits im Ei wäre eine Möglichkeit gewesen, um der Tötung der männlichen Küken nach dem Ausschlüpfen zu entgehen. Die Methode sei aber noch nicht marktreif und es sei unklar, wann das Verfahren zur Verfügung stehe. «Wir wollten aber nicht noch lange zuwarten und versuchten es deshalb zuerst mit traditionellen Zweinutzungsrassen, die heute eigentlich nur noch von Liebhabern gehalten werden», erklärt der Agronom. Diese eigentlich dem Biogedanken sehr naheliegende Lösung stellte sich aber als zu wenig wirtschaftlich heraus: Diese Hühner legen deutlich weniger Eier und auch der Fleischzuwachs ist relativ bescheiden. «Die Eier und das Fleisch wären viel zu teuer gewesen und hätten bei den Konsumenten kaum eine Chance gehabt», sagt Clavadetscher, der den Biogeflügelmarkt und die Absatzchancen sehr gut kennt. Es galt deshalb, eine Lösung in den gegebenen Rahmenbedingungen zu finden. So ist er auf die Bruderhähne gestossen. Die Idee: Biobetriebe übernehmen Hähne, die sonst als Küken getötet worden wären und ziehen diese in einem tierfreundlichen Stall mit Auslauf auf. Je nach Verwendungszweck leben die Hähne dort 10 bis 14 Wochen und werden dann geschlachtet und weiterverarbeitet. Weil die Gewichte etwas tiefer sind als bei den Poulets der Mastrassen, werden sie mit einem Zuschlag von 3 Rappen pro Ei quersubventioniert. Diese Eier kommen von Hühnern, die ebenfalls im Programm von «henne & hahn» mitmachen und entsprechend mit einem Label ausgezeichnet sind. «Das Bruderhahnfleisch kann so etwa gleich teuer verkauft werden wie übliche Biopoulets», erklärt Clavadetscher.
Eine ethische Frage
Natürlich gibt es auch Bruderhahn-Nörgler. Diese fragen sich, worin der Unterschied besteht, ob ein Hahn am ersten Tag oder erst nach ein paar Wochen getötet wird. Und dazu noch viel Futter frisst für relativ wenig Fleisch. Es sei klar, dass ein industriell hergestelltes Poulet ohne Auslauf mit weniger Futter mehr Fleisch ansetze, antwortet Clavadetscher. Doch Ressourceneffizienz sei eben nicht alles, weil das Tierwohl dabei nicht berücksichtigt werde: «Das ist letztlich eine ethische Frage.»
Für Peter und Marianne Ball sprachen tatsächlich vor allem tierschützerische Gründe dafür, dass sie im Bruderhahnprojekt mitmachen wollten. Sie kauften deshalb einen Prototyp eines mobilen Stalls, der sich auf den Weiden beliebig verschieben lässt. «So profitiert jede neue Bruderhahn-Herde von einer frischen Weide und einem natürlichen Stallboden», sagt der Biobauer. Ende September zog die erste Gruppe mit 500 Tieren ein. Zufrieden und neugierig sind sie jetzt nach knapp 14 Wochen im mit betriebseigenem Biostroh eingestreuten Stall und draussen unter dem mit einem Netz geschützten Vordach unterwegs. Der Auslauf auf der Weide bleibt den Güggeln leider gerade verwehrt, weil wegen der Vogelgrippe landesweit eine «Stallpflicht» verordnet wurde.
Die 500 Tiere werden nach den besonders strengen Richtlinien von KAGfreiland gehalten. Das heisst: maximal 500 Tiere pro Herde, normalerweise täglicher Auslauf, Biofutter, keine Antibiotika und dazu zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten wie beispielsweise ein Sandbad. Geplant ist in Brütten zudem der Bau einer heizbaren Kükenstube, damit die Hähne künftig wirklich ab dem ersten Tag dort in vertrauter Umgebung leben können. Die aktuellen Junghähne verbrachten ihre ersten drei Wochen noch in der warmen «Kükenstube» in Malans bei Roman Clavadetscher.
Gleich viel Legehennen wie Hähne
Die Zeit der ersten Bruderhahn-Gruppe läuft hier in der Agglomeration von Winterthur bald ab und die Junghähne werden nächstens ihre letzte Reise zum Schlachthof nach Malans antreten. Würde man sie in der Gruppe lassen, wäre es nämlich bald vorbei mit der Harmonie, wenn es mit den Hahnenkämpfen losgehen würde. «Die Bruderhähne werden ein glückliches Leben bei uns im Moos gehabt haben», sagt Roman Clavadetscher (links) von der Firma Gallina Bio AG hat das Bruderhahn-Projekt «henne & hahn» ins Leben gerufen. Peter Ball liefert ihm seine Bruderhähne.Marianne Ball. Der Bevölkerung bieten sie
eine Gönnerschaft an, um das Projekt zu unterstützen. «Gönnerinnen und Gönner erhalten von uns ein Paket Biobruderhahn-Fleisch und werden zu speziellen Events eingeladen.» An diesen soll auch erklärt werden, wie ein Biohof funktioniert. Beispielsweise, dass ihre Hühner und Hähne viel betriebseigenes Biofutter erhalten, das gleich auf dem Acker nebenan wächst.
Die Balls wollen künftig vier Gruppen mit Bruderhähnchen pro Jahr bei sich aufziehen. Das wären dann über das Jahr betrachtet genau gleich viele Tiere wie die 2000 Legehennen im Hühnerstall, die im Durchschnitt etwa ein Jahr lang Bioeier legen. Bei ihnen geht die Bruderhahn-Rechnung deshalb perfekt auf.
Portrait
Peter und Marianne Ball bewirtschaften in Brütten ZH einen Bio Suisse zertifizierten Bauernhof mit einer Fläche von 15 Hektaren. Dort bauen Sie Gerste, Mais und Weizen an, der in der Mühle als Biotierfutter verarbeitet wird. Andere Produkte sind Kürbis und Nüsslisalat. Zudem lebt auf den Weiden eine Mutterkuh-Herde der Rasse Longhorn. Dem Bau des Legehennenstalls für die Bioeierproduktion vor zwei Jahren folgte im letzten Jahr der Kauf eines mobilen Stalls für eine Herde von Bruderhähnen. Sohn Roger Ball ist gelernter Landwirt und arbeitet voll auf dem Betrieb mit. Bruder Andy und Schwester Rahel helfen in Ihrer Freizeit tatkräftig mit.
henne & hahn
Die Vermarktung des Bruderhahn-Fleisches im Rahmen des Projektes «henne & hahn» übernimmt die Firma Gallina Bio AG, die Roman Clavadetscher Ende 2015 zusammen mit der Hosberg AG gründete. Die Firma koordiniert zudem die Einstallung, Ausstallung, Anzahl der Tiere und das Futter. Das Fleisch wird gemeinsam mit KAGfreiland als Bruderhahnbox vermarktet. Die «henne & hahn»-Eier werden mit einem Zuschlag von 3 Rappen pro Ei in diversen Bioläden verkauft. Bislang wurden in der Schweiz 5000 Bruderhähne vermarktet.
Biohühnerhaltung
Auf einem Bio Suisse-Legebetrieb dürfen maximal 2000 Legehennen
in einem Stall gehalten werden. Der Auslauf ist obligatorisch und eine grosszügige Weidefläche steht allen Hühnern frei zur Verfügung. Bei den Mastpoulets kommen mobile Ställe zum Einsatz, die nach jedem Umtrieb verschoben werden. Biopoulets dürfen frühestens nach 63 Tagen geschlachtet werden. Alles Futter stammt aus biologischem Anbau, ab dem Jahr 2018 soll es nur noch aus europäischem Anbau kommen. KAGfreiland hat ergänzende Vorschriften, so müssen beispielsweise in einer Hühnerherde zwingend Hähne gehalten werden.
Ich habe mit Interesse den Beitrag über Bruderhähne im Landboten von vor ein paar Tagen gelesen.
Ich suche jedes Jahr zu Weihnachten einen Kapaun und finde ich nur in der Gourmet Facory im Jelmoli in Zürich. So ein kastrierte Hahn wiegt dann 4 – 5 kg und kostet jeweils weit über CHF 100.- , wohl weil sie aus Frankreich importiert werden müssen. Das Fleisch ist aber unvergleichlich zart und saftig.
Frage: Weshalb kastrieren Sie Ihre Bruderhähne nicht?
Herzliche Grüsse
Dr. med. W. Tur
alte Tösstalstrasse 44
8487 Rämismühle