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Bodenexperte: «Erosion ist auch eine Folge des zunehmenden Preisdruckes!»

Die Gemüseäcker verlieren jedes Jahr durch Erosion mehr Substanz als natürlicherweise nachkommt. Der Bodenverlust erfolgt schleichend. Die Gemüseproduzenten nehmen die Erosion deshalb nicht als Problem wahr. Der Boden verkomme aber langfristig zum unfruchtbaren Substrat, sagt Fachmann Peter Trachsel im Interview.

Der Schweizer Acker verliert durchschnittlich 2,1 Tonnen Boden pro Jahr durch Erosion. Das hört sich nach viel an. Auf das gesamte Volumen des Bodens betrachtet erscheint die Zahl weniger dramatisch. Letztlich geben die Böden ja immer noch genug Ertrag. Wie gravierend ist das Erosions-Problem in der Schweiz wirklich?
Peter Trachsel: Der Boden wächst im Jahr auf natürliche Weise um einen Zehntel Millimeter. Es dauert 350 Generationen bis sich ein Meter gebildet hat. Unheimlich lange also. Wenn pro Jahr 2,1 Tonnen Boden durch Erosion verloren gehen, entspricht das der Bodenbildung von zwei Jahren. Es geht also doppelt so viel verloren, wie gebildet wird. Entsteht nach intensivem Regen ein Graben von 100 cm Breite und 50 Meter Länge ist das der Boden von einer Generation, der in wenigen Minuten verschwindet.

Das hört sich dramatisch an. Doch von aussen sieht man kaum etwas. Salat und Karotten wachsen trotzdem scheinbar problemlos auf den Feldern. Niemand würde vermuten, dass die Produktion eigentlich auf Kosten der kommenden Generationen geht.
Erosion ist tatsächlich wenig sichtbar. Wenn ein Feld über zwei bis drei Generationen schlechter wird, können das unsere Augen nicht erfassen. Der Prozess ist schleichend. Allenfalls erkennt man Stellen im Feld, die langsam weniger Ertrag bringen. Wenige denken in diesem Moment daran, dass da eine Entwicklung im Gang ist.

Probleme auf dem Gemüseacker werden in der Regel mit modernen Anbautechnologien gelöst. Nehmen die Gemüseproduzenten die Folgen der Bodenerosion auch deshalb nicht wahr?
Erosionsschäden lassen sich leicht überdecken: Gräben, die nach Unwettern entstehen, werden mit Hilfe von Bodenbearbeitungsmaschinen einfach wieder aufgefüllt und mit neuen Kulturen besteckt. Im Gemüsebau verkommt der Boden – ausgeprägter als bei anderen Kulturen –, zum Substrat wie eine Hydrokultur. Die abnehmende Ertragsfähigkeit des Bodens wird mit Kunstdünger und Wassergaben maskiert.

Hors-sol im Freiland also?
Pointiert gesagt; ja. Gäbe es von einem Tag auf den anderen keine Niederschläge und keinen Dünger, käme vielleicht das böse Erwachen.

Weshalb?
Weil die Speicherfähigkeit des «natürlichen» Bodens nicht mehr da ist. Ein Grund dafür ist die zu feine Bodenbearbeitung, die im Gemüsebau oft vorkommt. Solche Böden verlieren schnell an Volumen. Das Gefüge bricht ein und der Regen kann nicht mehr aufgenommen werden. Der Boden fliesst oberflächlich ab und es kommt zu Erosion. Kann das Wasser nicht mehr in den Boden eindringen, kommt letztlich auch die Grundwasserbildung ins Stocken. Und das ist dann schon gravierend.

Doch gerade die feine Saatbettbereitung ist die Grundlage für die Produktion der vom Markt und den Abnehmern geforderten hohen Gemüsequalität?
Die Sämereien verlangen das heute tatsächlich. Zudem ist der wirtschaftliche Druck gerade in der Gemüsebranche gross: Niemand kann sich erlauben, dass die Saat nicht aufgeht. In der in den letzten Jahren erfolgten gewaltigen Spezialisierung sehe ich einen wesentlichen Grund für die zunehmende Bodenerosion im Gemüsebau. In einzelnen Gebieten ist Erosion wirklich ein Problem.

Wo?
Hanglagen ab einem Gefälle von drei bis vier Prozent sind besonders anfällig. Im Grossen Moos im Seeland sind es die mineralischen Böden an den Hängen links und rechts von der Ebene, wo Gemüse erst seit ein paar Jahren angebaut wird. Früher hatten die Bauern dort Kühe und betrieben Futterbau. Gemüse bauten sie nur in den flachen Parzellen an.

Und den Mist der Tiere verwendeten sie als Dünger auf den Gemüsefeldern. Dieser Kreislauf wird mit der Spezialisierung aufgebrochen. Was bedeutet diese Entwicklung?
Dem Gemüseproduzenten bleibt aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht viel anderes übrig, als das Maximum aus dem Boden herauszuholen. Er muss sich dem in den letzten Jahren eingesetzten Preiskampf beugen. Und wer nicht zum richtigen Zeitpunkt liefern kann, ist weg vom Fenster. Früher hatte man Beete im Acker und Fruchtfolgen mit Kunstwiesen, mit denen sich der Boden erholen konnte. Heute macht einer im Extremfall noch drei Kulturen. Wiesen gibt es nicht mehr. Oft liegen die Äcker im Winter brach. Im Februar geht es dann bereits wieder los mit der Kreiselegge. Und diese ist besonders schädlich für den Boden. Dieser erträgt zwar eigentlich ziemlich viel und zeigt ein unwahrscheinliches Pufferverhalten. Doch wenn das Mass überschritten ist, bricht er ein.

Der Gemüseproduzent steht am Anfang der ganzen Vermarktungskette. Er muss sich dem Druck der Abnehmer beugen. Gibt es für ihn trotzdem Möglichkeiten, sich gegen den fortlaufenden Bodenverlust zu wehren?
Ein Patentrezept habe ich für den Gemüsebau nicht. Eine Möglichkeit in Hanglagen ist die Bewirtschaftung entlang der Schichtlinien. Oder man versucht Grünstreifen hereinzubringen und eine breitere Fruchtfolge. Doch natürlich bedeutet das immer eine Reduktion der Anbaufläche und deshalb wirtschaftliche Einbussen. Der Gemüseproduzent muss sich letztlich die Frage stellen, wie lange er noch Ertrag haben möchte, respektive ob die nächste Generation auch noch etwas vom Boden haben soll.

Könnte der Flächenabtausch helfen?
Ja, in der Theorie. Doch in der Praxis sehe ich das weniger euphorisch. Mit Flächenabtauschen nimmt das Verantwortungsbewusstsein für die Parzelle ab. Verpächter geben ihre Fläche an die Bauern ab, die am meisten bezahlen. Und das ist in der Regel der Gemüseproduzent. Und weil dieser so viel bezahlt, holt er natürlich das Maximum aus dem Boden heraus. Denn er weiss ja nicht, ob er die Parzelle auch im Folgejahr erhält.

Viele Gemüseproduzenten versuchen mit Kompost- oder Mistgaben die organische Struktur und damit das Gefüge des Bodens zu verbessern. Bringt das etwas?
Es hilft, das Erosionsproblem etwas zu entschärfen. Allerdings darf man den Effekt nicht überschätzen. Es sind irrsinnige Mengen an Kompost nötig um gute Werte zu erhalten. Ein gesunder Boden in der Schweiz sollte 3 bis 3,5 Prozent organische Materialien haben. Es gibt heute aber Böden mit Anteilen deutlich unter zwei Prozenten.

Das hört sich alles nicht sehr ermutigend an.
Ja, das kann man so sehen. Doch ich möchte hier nicht auf den Produzenten herumhacken. Letztlich handelt es sich hier um ein gesellschaftliches Problem. Erosion hat sehr viel mit der Vermarktung zu tun. Abnehmer wie Coop und Migros werben gerne plakativ mit einer ökologischen Landwirtschaft. Doch deren Einkäufer haben den Auftrag, möglichst billig einzukaufen. Karotten beispielsweise müssen alle die gleiche Form und Länge haben, was den Einsatz von Spezialmaschinen und die erosionsfeindliche feine Saatbeet-Bereitung nötig machen. Irgendwie widerspricht sich das alles. Es wird ein falsches Bild vorgespiegelt.

Wäre die pfluglose Bodenbearbeitung eine Möglichkeit um den Boden besser vor Erosion zu schützen?
Zurzeit nutzen nur ganz wenige Schweizer Gemüseproduzenten das No-Till-Verfahren. Ich denke aber, dass hier die Zukunft liegt. In den USA werden bereits Maschinen gebaut, die den Gemüseanbau im Direktsaatverfahren ermöglichen. Leider ist es uns bis jetzt noch nicht gelungen, die Bauteile zu erhalten. Doch wir arbeiten daran.

Alle sprechen von Ernährungssicherheit. Ist diese langfristig bedroht, wenn die Böden einmal nichts mehr hergeben, die Energie-, Wasser- und Düngerpreise steigen?
Solche langfristigen Überlegungen werden ausgeblendet. Ich denke aber nicht, dass es so schlimm kommen wird. Wir können uns ja auch von krummen, kürzeren oder gar beinigen Rüebli ernähren.

 

Der ETH-Agronom Peter Trachsel arbeitet an der Bodenschutzfachstelle des Kantons Bern in Zollikofen.

Veröffentlicht in Blog

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