Die Agrophotovoltaik ermöglicht eine Doppelnutzung von Land. Solarmodule über Reben, Reis oder Gemüse schonen Ressourcen und vermindern Landkonflikte. Bei einer Himbeeranlage in Holland zeigt sich, dass die Technologie praxisreif ist.
Strom und Lebensmittel auf derselben Parzelle produzieren? So schlecht geht das offenbar gar nicht, wie der im Oktober erstmals aus Perpignan durchgeführte Fachkongress Agrivoltaics zeigt. Obwohl es in der Schweiz erst ein paar wenige Projekte gibt, bei denen über oder zwischen landwirtschaftlichen Kulturen Solarpannels aufgestellt sind, ist Agrophotovoltaik (APV) bei uns noch kaum ein Thema. Das könnte es aber vielleicht einmal werden, wenn es darum geht, den Ausbau der Solarstromproduktion wirklich ernsthaft voranzutreiben. Dann also, wenn jeder Quadratmeter zählt. Durch die parallele Nutzung wird das Land effizienter genutzt. Stefano Amaducci von der Universita Cattolica del Sacro Cuore zeigte am Kongress ein Rechenbeispiel, in dem mit 123 Hektaren APV über Mais die gleiche Energiemenge produziert werden kann, wie mit freistehenden Solarpanels auf 134 Hektaren und zusätzlich 1400 Hektaren Mais. Nach Angaben des Frauenhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE wurden 2018 weltweit 2,9 GW Strom unter APV produziert. Interessant an der APV-Idee: Es gibt Kombinationen von Pflanzenbau und Solartechnologie, die scheinbar richtiggehend eine Symbiose miteinander eingehen.
Solarzellen schützen Himbeeren
Im holländischen Babberich beispielsweise ersetzte Himbeeren-Produzent Piet Albers die Folien-Regendächer auf 3,3 Hektaren Flächen auf einer Höhe von 2,5 Metern durch 10’000 Solarmodule. Die semitransparenten Zellen lassen gerade genug Licht durch, damit die Himbeeren darunter ausreichend Photosynthese betreiben können. Zudem schützen die fix montierten Module nicht nur vor Starkregen, sondern auch vor Hagel, Frost und extremer Hitze. Gerade Letzteres wird in Zukunft voraussichtlich häufiger vorkommen. Unter dem üblichen Plastik staut sich dann gerne die heisse Luft und schädigt die Früchte. Nicht so bei der APV, wo sich der höchste Punkt zwischen den Pflanzenreihen befindet und die heisse Luft dort mit dem Kamineffekt durch die Öffnung abgeführt wird. «So bringt man Temperatur und Feuchtigkeit von der Pflanze weg», erklärt Stephan Schindele von der deutschen Firma BayWa r.e., die das Projekt verwirklichte. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Temperatur unter den Modulen bis zu acht Grad tiefer liege. Die Solarmodule wiederum arbeiten wegen dem Kühlungseffekt der Pflanzen effizienter. Und weil diese unter den Modulen deshalb weniger Wasser verdunsten, sinkt auch der Wasserverbrauch. Finanziell fahre der Beerenproduzent unter dem Strich besser. Die Erträge seien mindestens so hoch wie vorher. Neben dem zusätzlichen Verdienst für den Solarstrom spare er unter anderem Kosten für das Abräumen der Folien und die Reduktion von Pestiziden ein. Der Kunde sei sehr zufrieden mit der Anlage und habe sich entschieden, die andere Hälfte der Anbaufläche auch noch umzurüsten, sagt Schindele. Seine Firma führt inzwischen auch Pilotversuche über Heidelbeeren und Erdbeeren durch. «Beeren eignen sich gut für APV, weil sie eine gewisse Schatten-Toleranz haben.» Langfristig sieht Schindele zudem zusätzliche Vorteile, wenn der Strom selbst auf dem Betrieb verbraucht werden kann, zum Beispiel in Elektrofahrzeugen.
Japaner schreiten voraus
Aber eben: nicht alle landwirtschaftlichen Kulturen eignen sich für APV. Brecht Willocks von der belgischen Universität Leuven stellte am virtuell durchgeführten Kongress Untersuchungen zu Weissspargeln vor. Eigentlich wären sie prädestiniert für die Technologie, weil sie kaum Licht brauchen. Dabei soll eine Konstruktion mit zusammenfaltbaren Solarmodulen je nach Jahreszeit in verschiedenen Höhen über und während der Wachstumsphase im Sommer zwischen den Spargeldämmen platziert werden, wo es unter anderem durch den Lichtentzug auch das Unkraut unterdrücke. Dieses Projekt existiert freilich erst in Computersimulationen und wird möglicherweise auch nicht darüber hinauskommen, weil das Ganze in der Umsetzung zu teuer ist. Doch während dem drei Tage dauernden Fachkongress wurde trotzdem klar, dass APV in anderen Regionen der Welt bereits relativ weitverbreitet ist. So soll es beispielsweise in Japan bereits 2000 APV-Farmen mit 560 Hektaren Fläche geben. Gemäss Makoto Tajima vom Institute for Sustainable Energy Policies in Tokyo würden 120 verschiedene Produkte unter APV produziert, neben Ginger, Shiitake-Pilzen oder Pestwurz auch Heidelbeeren und Reis. Japan kämpft mit einer Überalterung der Bauern und deshalb zunehmend brachliegenden Agrarflächen. Tajima sieht in der APV eine Chance, die landwirtschaftliche Nutzung dieser Flächen wieder interessanter zu machen. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima wurde in Japan zudem eine Einspeisevergütung für Solarstrom eingeführt, weshalb die Technologie nun auch wirtschaftlich interessant ist.
Chance für Afrika
In Afrika haben zwei Drittel der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität. Zudem gibt es Probleme mit Trockenheit, Bodenerosion und überhaupt Nahrungsmittelknappheit. Die APV könnte da zu einer Art Schlüsseltechnologie werden, die viele dieser Probleme zumindest im Ansatz lösen könnte. Richard Randle-Boggis von der University of Sheffield untersucht in einem Forschungs-Projekt mögliche Potenziale in Ostafrika und betreut drei Versuchsanlagen in Uganda, Kenya und Tansania. Weil es kaum ein Stromnetz gebe, seien Inselanlagen und Mini-Grids – wie es APV-Anlagen ermöglichen würden –, ein Vorteil. Mit einer Doppelnutzung des knappen Agrarlandes durch APV sinke zudem das Konfliktpotenzial und es gäbe weniger Erosion und dadurch mehr Wasserspeicherungsmöglichkeiten im Boden, erklärt er. Zudem schützten die Module nicht nur die Kulturen vor der Hitze, sondern spendeten auch Schatten für die Bauern, die darunter arbeiten. Der Strom könnte in der Küche das Holz ersetzen und damit das Problem der Abholzung lösen. Würde das Wasser von den Solarmodulen als Bewässerungswasser gesammelt, könnte sogar das Problem der permanenten Wasserknappheit entschärft werden. An dieser leidet beispielsweise auch Indien. Am Kongress wurde ein Projekt vorgestellt, bei dem 36 Prozent des während der Monsunzeit über die APV gesammelten Wassers in die trockene Phase herübergenommen werden konnte. Solarstrom wird dort bereits auf Anlagen mit einer Leistung von 30 Megawatt auf der gleichen Fläche gemeinsam mit Kulturen wie Soja, Baumwolle oder Bananen produziert.
Welche Kulturen eignen sich?
Die APV-Technologie befindet sich immer noch im Anfangsstadium. Der Kongress zum Thema wurde erstmals durchgeführt, unter anderem auch, um den internationalen Austausch zu fördern. Noch ist offen, welche Kulturen sich wirklich eignen. Eine Möglichkeit ist die parallele Weidenutzung zwischen oder unter den Modulen. Untersuchungen der Oregon State University über Lammweidefleisch zeigten, dass im Frühling mit APV mehr Gras wuchs, der Bestand im Sommer besser bestockt war und die Tiere vom Schatten profitierten und dazu weniger Wasser benötigten. In Heggelbach am Bodensee steht eine auch vielen Schweizern bekannte Pilotanlage, auf der die Uni Hohenheim untersuchte, wie hoch die Erträge unter der APV in Weizen, Kleegras und Sellerie im Vergleich zum üblichen Anbauverfahren lagen. Das vermeintlich bessere Mikroklima unter den Pannels konnte die Einstrahlungsverluste dort nicht kompensieren: Bei allen Kulturen nahmen die Erträge ab. Interessanterweise stellten die Forscher aber höhere Proteingehalte bei Weizen (+33%) und Klee (+11% TS) fest. Die University of California in Davis untersuchte bestimmte Kulturen auf deren Schattentoleranz. Spinat und Brokkoli «litten» dabei stärker als Tomaten und Mangold, die selbst bei 55 Prozent Sonneneinstrahlung noch anständige Erträge lieferten.
Schattenmanagement wird zentral
Solarmodule können noch so transparent sein, ein Verlust der Sonneneinstrahlung und damit eine verminderte Photosynthese-Leistung können deshalb eigentlich nicht verhindert werden. Aber Licht ist in der Pflanzenwelt nicht alles. Wenn die Pflanze unter APV in der Mittagszeit um Hitzestress herumkommt und das bei kühleren Temperaturen, dann bildet sie weiter Biomasse. Ähnliches gilt bei verhinderter Wasserknappheit. Es wird weiter an der APV-Technik gefeilt. Die neuste Generation von Modulen bewegt sich entlang der Sonnenstrahlung und passt den Neigungswinkel dynamisch an, womit die Stromerträge um bis zu 30 Prozent ansteigen.
Im optimalen Fall läuft das so ab, dass die Kultur mit der kontinuierlichen Anpassung des Neigungswinkels der Module nie im Schatten steht. In Südfrankreich steht eine solche Anlage über 4,5 Hektaren Weinreben, die im Rahmen des französischen staatlichen APV-Förderprogramms Sun Agri erstellt wurde. Die Module werden zusätzlich unterstützt von Wetterdaten gesteuert. Wenn ein Starkregen naht, wechseln sie auf horizontal. Zudem arbeiten die Module zweiseitig, können also reflektierendes Licht vom Boden nutzen. Das erzeugt bis zu 13 Prozent mehr Stromertrag. Die gleiche Technologie mit beweglichen Modulen wird auch auf Gewächshäusern getestet.
Die Entwicklungen bei der APV sind also noch längstens nicht am Ende. Über 350 Experten und Interessierte aus 39 Ländern nahmen am Kongress teil. Sie zeigten, dass international einiges in Bewegung ist. Die noch überschaubare globale APV-Community ist überzeugt, dass sie ein wertvolles Puzzleteil auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft sein kann. Die AgriVoltaics2021 ist im nächsten Juni in Freiburg i. Breisgau geplant.
- www.agrophotovoltaik.de
- www.sunr.fr
- www.baywa-re.com
- www.next2sun.de
- www.ise.fraunhofer.de
- www.agrivoltaics-conference.org
Agrophotovoltaik in der Schweiz
Obwohl in der Schweiz auf vielen Bauernhäusern Solaranlagen installiert sind, gibt es hier kaum Agrophotovoltaik-Systeme im Sinne einer Doppelnutzung. Das liegt auch daran, dass es kaum Freilandanlagen gibt. Die Politik setzt die Priorität auf Dächer und Fassaden von Gebäuden. In Ried bei Kerzers produziert Gemüsegärtner Frédéric Barth seit 2014 im Gewächshaus Radieschen unter Solarzellen. Der Ertrag für das Gemüse liegt wegen der Verschattung rund 20 Prozent tiefer als üblich. Alles in allem sei es mit dem Stromertrag ein Nullsummenspiel, sagt Barth. «Ich würde die Anlage aber auch heute wieder installieren, allerdings mit transparenteren Modulen». Er bedauert das mangelnde Interesse an AV von Forschung und Branche in der Schweiz, weil er überzeugt ist, dass dieses Potenzial besser genutzt werden sollte.
Kommentare